Turmhoch mit Ruhm bekleckert, der ihn einhüllt wie eine dicke Kruste aus Ei mit Heringssalat und Aalschenkel und Astra, so war der wackere Meister zurückgekehrt vom Furiosum Finalis, aus Hamburg kommend, wo er das Polittbüro in furiose Extase rockte. Herbei geschaukelt mit großem Aplomb und Bardautz kam er, wie ein Trockendock von Blohm & Voss, das sich losgerissen hat. Und so macht der Egersdörfersche Staatszirkus erneut Besatz vom Herzen Nürnbergs, am 11. Februar, und man möchte meinen, ein neugeborenes Kultusministerium nähme da vollständig Aufstellung, forsch, frisch und frei.
Vier dicke Männer in Folge betreten die Schwerlastbühne, ein neuer Rekord. Das nackige Nummerngirl Bird Berlin, engelsgleich zwitschernd, wie gewohnt das große Herz der Liebe in den Fellteppich auf seiner Brust rasiert. Indes B.B. zwitschernd vor ihm aufs Knie niedersinkt, fläzt der unglaubliche Conferencier M.K.F. Egersdörfer selbst wie Caligula in einem Sessel, aufgestylt wie gewohnt in einem, so er das Fußvolk huldvoll warnt, ganz furchtbar stinkendem roten Bühnenhemdchen. Und also wieder einmal maßlos übertrieb, denn schon in der dritten Reihe des fast vollbesetzten, von den Herren Andi und Klausi aufs fachkundigste ausgeleuchteten und beschallten großen Saals des ganz wunderbaren KOMM war kaum noch etwas zu riechen, höchstens eine leichte Note Fischsemmel, doch das hätte auch die Frisur von dem Herrn sein können, links hinten, der keine Zeit findet, einen rechtschaffenen Friseur aufzusuchen. Fürderhin Philipp Moll, angetan mit seinem umfangträchtigen weißen Wämslein, das aus einer gutbürgerlich gestreiften Tischdecke geknüpft zu sein sich anlässt. Und ferner, der vierte im Kummerbunde, Götz Frittrang, der ein solchermaßen schwäbischer Schwabe ist, dass es mich schüttelt und umknickt. Und er zeigt sich seines Schwabentums bewusst, wenn nicht sogar würdig.
Doch wer war da denn noch? Deren dreie waren da noch, und zwar erstlich gar entzückend und glanzvoll leuchtend: die großartige Natalie Deligt. Und zweitens so souverän wie ein Wiedergänger: der famose Michi Seiler. Und Carmen, die Gattin der wirkmächtigen Übergestalt aus Lauf extrem rechts der Pegnitz.
Frau Deligt spricht mehr als ein einzelnes Wort zum Mittwoch, sie hält eine fein ziselierte Rede, eine, die sich Sie schreibt. Klar und treffsicher konstruiert sie das Bild des abwaschwütigen Gatten, der komplett närrisch wird, wenn er Teller und Tassen spült. Wie eine mit unendlicher Sorgfalt aufgestellte Reihe Dominosteine klappert dann die Kette der kippenden Glieder, bis wir schlussendlich ins Schlafzimmer des trauten Paares selbst treten, wo man einander Markennamen von Spülmitteln ins Ohr grunzt, um zur Ekstase zu gelangen. Deligt benennt deutlich den „guten Kugelbauch“, die „liebe Frau Schwerkraft“, welche ihres Amtes waltet, und den „kurzbeinigen homo sapiens“, welcher das „Abwasch unser“ betet. Insgesamt kurvenreich und geschliffen, kein weiches Brot, sondern ein Hochamt der gebildeten Formulierungskunst. Umso interessanter sind die Assoziationsturbulenzen, die Natalie D. auslöst, die von den Prilblumen über den Blümchen-Sex bis zum Blümchen-Kaffee reichen. Äußerst erhebend!
Michi Seiler dürfte sich wohl den Titel des dünnsten Mannes des Abends verdient haben, er tritt wie gewohnt mit Valentin-Gesicht und Breaking-Bad-Hut auf, und macht, was ein Michi Seiler nun so macht: er liest Theaterstücke zum Vorlesen vor. Er setzt dabei auf gewohnte Besetzungen, sprich: abwechselnd „Vater, Mutter, Bub“ oder die beiden besoffenen Kiffer bzw. quarzenden Säufer überreifen Alters. Seiler verlässt sich auf wenige bewährte Strickmuster, alles ist erprobt und irgendwie nicht mehr überraschend. Spätestens nach dem ersten Stück hat jeder kapiert, wie der Spaß funktioniert. Man nehme zirka einskommafünf falsch ausgesprochene Fremdwörter pro Minute (es gibt friedliebende „Pazifiker“, bösartige „Salamisten“ usw. usf.), packe ein fettes Bündel Slapstick oben auf (Tanten stolpern in oder über Torten, glimmende Zigarren fallen in Raketenpulver, Kinder fahren betrunken Auto, Omas schießen mit dem Revolver) – und biete das alles dar mit unleugbar brillanter Stimmvarianz (Mutter nörgelt dümmlich, Bub verfällt in übelste Ghetto-Spreche, Besuffkis lallen und nuscheln), würze das Ganze mit explodierenden Gasthermen und verwechselten Wohnungen - und schon wird's durchwegs lustig bis auf die Ausnahmefälle, in denen wird's albern.
Ich denke, das funktioniert deshalb so gut, weil der idiotische Alltag eben exakt so idiotisch wie der Alltag dargestellt wird, und weil es viel unterdrückte Zerstörungswut gibt, in den Menschen, die seit Stan Hardy und Oliver Laurel jubilieren, wenn da jemand ist, der ihren destruktiven Begierden Gestalt verleiht. Macht also gar nix, weil es global betrachtet schlicht total lustig ist.
Vier dicke Männer sind's, wie angekündigt, die zum Volke sprechen. Egersdörfer, der Meister, uns einen Einblick in sein bizarres Wahrnehmen gewährend, dem der Anblick eines ordentlichen Kernkraftwerks mit mordstrümmer Kühlturm und Reaktorkuppel zur maßgeblich größeren Freude gereicht als ein Solar-Feld. Und der uns strahlend, so dass seine runden Bäckchen von innen zu leuchten beginnen (wie andernfalls nur seine Ohren), vom Geschlechtskrankheitsausfluss erzählt, der aus dem Unterleib einer Dame tropft, die nicht allzu lange zuvor noch als die perfekte Ehefrau eines perfekten Mannes sowie als perfekte Mutter einer perfekten Prinzessin und eines perfekten Stammhalters in der ersten Klasse Bundesbahn fuhr und vom Soziotopforscher Mat. Egersd. beäugt wurde. Doch was heißt beäugt? Seine Staffelei wollte er aufstellen, die Szene in Öl bannen für Nachwelt und Ewigkeit. Bis Verbrechen, Syphilis und Haarausfall gemeinsam zuschlugen, und die Kinder auf eine Insel im Atlantik geschafft werden mussten, damit sie nicht später Bundespräsidenten abstechen. Und die Erziehungsberechtigten auf Grund totalen Versagens von Erziehungsrobotern abgelöst werden. Seine alte Angst treibt hier den Ma. Eg. um, die er uns mittlerweile bei einigen Gelegenheiten verriet, die Angst, dass die Welt von den Fickmaschinen und Computerspielzeugen übernommen werde, dass elektrische Apparillos uns als Eltern, als Geliebte, als Denker, als Komödianten und als Zuschauer endgültig überflüssig machen könnten (ein Klassiker der Pädagogik sei hier beiläufig empfohlen: J.J. Rousseau: Emil oder über die Erziehung – http://de.wikipedia.org/wiki/Emile_oder_Über_die_Erziehung)
Hm. Was nur war los mit Philipp B. Moll? Er fand diesmal nicht wirklich zur Bestform und vorenthielt uns jegliche Perle der Sprachmalerei, mit der er doch sonst so spendabel um sich wirft. Ich sage nur: „Der Ozean der Gegenstände, der durch meine Wohnung wogt“. Die Set-Liste des neuen Programms „Fürchtet euch nicht“ des Herrenensembles Fast zu Fürth zitierte Moll in aller Ausführlichkeit, und die ist natürlich interessant, obschon nur für Spezialisten. Am meistenversprechendsten noch der Titel „Fegefeuerwehr“. Klar sind wir gespannt auf das Konzert am 5. März in der Katana und wir freuen uns freilich über eine weitere Sternstunde der kreativen Absonderung. Des weiteren ist jedoch nicht vieles zu erwähnen, so dass wir uns im Sinne der Georg-Hänfling-Stiftung wieder der Aufklärung so wichtiger Fragen wie „Was sollner des. Überhaupts?“ zuwenden können.
Umgekehrt stieg Götz Frittrang zwei mal verhalten, schon fast belanglos in seine beiden Runden ein, steigerte sich aber jeweils zu einem respektablen Finale. Ich meine ja, dass politisches Kabarett seine Sache nicht ist. Die Gags zu Gauck, Olympia und Afghanistan sind in der einen oder anderen Abwandlung schon längst ausgiebigst gelutscht worden, in TITANIC, Spiegel oder TV Total. Wo auch immer. Um Größenordnungen interessanter und qua Anhebung der Fallhöhe demnach auch witziger wird Frittrang, wenn er übers Private trampelt, sich mit seiner ganzen Fülle aufs kleinteilig Menschliche wirft und manchmal eben mit sich selber rauft. Dann erhebt er sich weit über den witzelnden Durchschnitt, schafft mehr als nur eine Aneinanderreihung schaler Pointen, die es heutzutage schon beim Aldi oder Lidl für 79 Cent das Schock gibt. Man merkt es auch an den Interjektionen, die er nutzen muss, um nicht abzukacken, während er im Trüben fischt: „ganz ehrlich!“ ruft er, „ja, wirklich!“, wenn er das erste Gelächter erntet, oder das banalste Füllsel: „Ist doch so!“, um einer Idee, die an sich einfach schwach ist, vergeblich Nachdruck zu verleihen. Jedoch wenn er dann über Werther's Echte, über Blinden-, Schlitten-, Lawinen- und Drogenkatzen oder – was ich definitiv großartig fand – über schwäbische Kreuzfahrer referiert, die sich fressend den Fahrpreis zurückholen und mit einem buchhalterischen Gewinn vom Schiff wanken (insofern dieses nicht am Spätzletag kenterte, weil alle Schwaben dummer Weise auf einer Seite einquartiert waren), dann braucht er keine Floskeln mehr, dann sitzt er fest im Sattel. Da gelingen ihm auch Kracher wie der von seinem Anzug, den er nur zögerlich in die Afrika-Sammlung gibt, weil der dort ja jedem zu groß sei.
Viel Überflüssiges wird da also vermanscht, Fernsehwerbespots mit Ökostrom, Babynahrung mit politisch unkorrekten Apfeltürken, doch glänzt direkt daneben wirklich viel Gold, etwa die archäologischen Schichtstruktur einer großmütterlichen Handtasche. Irgendwie schafft es Frittrang, über Abiturienten-Niveau zu bleiben, obwohl es bekanntlich lange als völlig unmöglich galt, nach Alf und Garfield noch brauchbare Katzenwitze zu machen. Götz Frittrang spielt am 13. April im Burgtheater (kann man sich aus so merken: Geburtstag meiner Ex-Frau), und by the way ebenfalls noch von meiner Seite: herzlichen Glückwunsch an die Dame in der ersten Reihe, die sich dieses Datum fast zwei Stunden lang auswendig merken konnte – Oberlehrer Matthias E. musste die Kopfnüsse zu Recht nicht verabreichen.
Bird B. Berlin hat sich seit der Januar-Vorstellung noch einmal gesteigert, der Bart ist nun ab, die Gesänge variieren stärker, hallende Chöre umhüllen die exaltierten Höchstfrequenzen, die aus dem voluminösen Nackedei strömen. Birdies bunte Lamettaflocken haben derartig ansteckende Qualität, dass es nur eine kurze Weile dauert, bis auch Egersdörfer und Frittrang beginnen, zu blinken und zu glitzern, dass es den Scheinwerfern eine helle Freude ist.
Der Showmaster Egersdörfer hätte nicht das überlebensgroße Format, das er hat, scheute er das Gespräch mit offenem Visier. So hatte auch Götz Frittrang sich niederzulassen in der braunen Kautschukschüssel, die eine verwirrte Seele auf der Bühne deponiert hatte, um sich den inquisitorischen Fragen des Meisters zu stellen. Der zu erwartende unheimliche Vorfall findet konsequenter Weise denn präzise an dieser Stelle des Spektakels statt.
Zu Beginn schon outete sich ein Zuschauer allerhöchsten Semesters mit der Kunde, er habe bereits in den 1950ern das Moulin Rouge in Paris besucht. Die Artverwandten standen da schon kurz auf der Kippe, und manch ein Scherzbold datierte dieses Besuch insgeheim noch einmal um 10 Jahre zurück. Doch Fakt bleibt, dass es als Angehörigen einer Sonderedition der bekannten Zirndorfer Plastikfigur-Manufaktur auch den Bamberger Reiter gibt. Götz Frittrang hat eine der seltenen Packungen im Gepäck und überreicht sie dem Häuptling als Gastgeschenk. Im Moment der Übergabe erblickt das Licht der Welt die Idee, in Nürnberg den Markt mit einer Hitler-Variante derartig zu überschwemmen, dass daneben der Russlandfeldzug wie ein Federballspiel dasteht. Egersdörfer ruft nach Gymmick, ob dieser im Publikum anwesend sei, auf dass er genanntes Projekt organisiere. Und genau hier wird es magisch, denn zwei Gymmicks antworten, von verschiedenen Plätzen im Saal, als sei das Publikum alles ein einziger Gymmick und Gymmick überall. Kurze Verwirrung, altgriechische Wechselgesänge, eine gefiederte Fledermaus huscht durch den Lichtkegel eines Scheinwerfers, explodiert in dünne Scheiben roter Zungenwurst – dann ist das Spektakel auch schon wieder vorbei und es kann wieder „normal“ fortgefahrt werden.
In einem zweiten, leicht zerfahrenen, aber auch in freundlichster Aggressivität geführten Gespräch verrät auch Michi Seiler ein hochinteressantes Detail aus seiner wuilden Vergangenheit als Gitarrero der Punk-Band The Comix (über die der wikipedia-Eintrag erst noch geschrieben werden muss). Mit denen will er wohl schon 1993 im Komm aufgetreten sein, als Vorband der Manic Street Preachers (http://www.manicstreetpreachers.com/). Sogar an ein Klo will sich Seiler, der zuletzt eine Amy-Winehouse-Biografie übersetzte, erinnern, das er noch in exakt dem Zustand vorgefunden habe, in dem schon Herrrrmann Göring hinein schiffte. Überhaupt wird wieder einmal klar und deutlich, dass ihre finstere Vergangenheit immer noch über dieser Stadt der Reichsparteitage schwebt, woran aber offensichtlich so wirklich niemand etwas ändern möchte.
Weiter im Programm: Ob sich eine neue Reihe ankündigt, sei dahin gestellt. Die Pilot-Folge jedenfalls ist ausgestrahlt, live und in Farbe von der Bühne herab, dargestellt vom Egers selbst, der seine Impotenz thematisiert, und Carmen alias Claudia Schulz, die wie immer das geistige und körperliche Wohl des Publikums aufs Spiel setzt, indem sie die Mutter aller Scheußlichkeiten am Körper trägt, in Gestalt einer lila-blau-schillernden Bluse in Kombination mit einem Jeans-Rock. Letzteren hatte vermutlich schon die Zonen-Gabi ca. 1982 nach Rumänien gespendet, wo ihn aber auch noch die elendsten der ärmsten Seelen verschmähten, so dass er Jahrzehnte später seinen Weg als Verpackungsmaterial für Donauziegeneuter zurück in unsere Heimat fand.
Was war geschehen, fragt man sich, dass der zuvor praktisch permanent himmelweisend erigierte Monster-Hobel des Meisters sich plötzlich schlapp und tot im Schatten kringelte? Ein grotesker Hyper-Dildo, der sich für gewöhnlich schon in einen Fleisch-Tsunami verwandelte, wenn bloß im Zoo ein Flamingo-Weibchen seine Flügel spreizte! Einst omnipräsent und omnipotent – nun bleich und weich wie ein sorgfältig gewässerter Regenwurm! Die bezaubernde Carmen kann da nur lächeln, weiß sie doch genau wie und warum. Dennoch beugt sie sich gehorsam dem Gatten, stimmt dem Zwei-Stufen-Plan zu, demgemäß erstens sie, als Partnerin, die alleinige Schuld trägt und, zweitens, sie dies rückhaltlos eingesteht und sich deswegen schlecht fühlt. Carmen lässt keinen Zweifel daran, dass sie mit allem einverstanden war, letztlich auch mit der Heilung, die zu guter Letzt erfolgte, deren sämtliche Konsequenzen eingeschlossen. Der Trick: Pornos in einer Dosierung, die praktisch dem Gegenteil von Homöopathie entspricht, ein mit farbig gedruckten Darstellungen begattungsgieriger Weibchen lückenlos ausgekleidetes Zimmer, auf dessen Boden sich ein hemmungslos wichsender Sexomaniac wälzt – und schon ist wieder alles gut.
Wird für diesen Ratgeber in allen Lebensfragen ein weiteres Kapitel geschrieben werden? Die Zeit wird es weisen – verweigern werden wir uns dessen gewiss nicht, im Gegenteil.
Der flugunfähigste aller schrillen Paradiesvögel hoppelt derweil immer wieder leichtfüßig wie eine Springmaus zur Bühnenkante, macht sich selbst den Chor, ein Echo-Vorhang, der seinen Herrenmezzosporan einwickelt und schwer an „Caravan of Love“ erinnert. Ein singender Faun aus der Barockzeit, der bei allem was recht ist, unter Denkmalschutz gestellt gehört.
Bis dann endlich die Nummer kommt, ohne die die ganze Veranstaltung nicht die Veranstaltung wäre, die sie ist: der gespielte Witz. Diesmal sogar selbst verfasst und dementsprechend so schlecht, dass es mehr als einem Opfer die Nasenhaare mit den Augenbrauen verknotete. Wenn sie einst als Legende von Nürnberg in den Schulbüchern erwähnt werden werden, dann weil Claudia Schulz und Matthias Egersdörfer offenbar jeglicher Schmerz, den ein Witz, dessen Hub niedriger ist, als der einer Briefmarke auf einem überfahrenen Biber, verursacht, fremd ist.
Nein, wieder einmal ist nicht gespart worden, ein keiner der vielen Ecken, und es lohnt sich definitiv im März wieder dabei zu sein. Am elften nämlich, dann vielleicht sogar mit einer Live-Schaltung in den Vorder-Himalaya, und wie immer (jedenfalls neuerdings), dem Wahlspruch gehorchend: „Ich werd's erleben – und ich werd's überleben!“
Um wie viel schöner doch ein Saal ist, wenn er vollgestopft mit Menschen ist, als wie wenn nur leere Stühle Zeugen der Verkündung wären! Ebendies konnte der dümmste Mensch begreifen, als die Engel ihre Posaunen anhuben, um kraftvoll hineinzustoßen und die Botschaft in die Stadt und den Erdkreis zu blasen, dass am 14. Januar des ebensolchen vierzehnten Jahres des dritten Jahrtausends der Großmogul seine Recken ins Komm zu Nürnberg gerufen hatte, um ein großes Remmidemmi zu veranstalten, welches da „Matthias Egersdörfer und Artverwandte“ heißt.
Auf einer haushohen Alpha-Welle kommen sie dann auch herbei geritten, kurz nach acht, bringen die Meute zur Ruhe, strahlten Entspannung und Frieden aus wie ein brennender Christbaum. Der Meister höchstpersönlich eröffnet den Reigen, rot behemdet und – für den Experten sofort erkennbar - frisch gekämmt. Ehe er offiziell loslegt, lässt er es sich wie immer nicht nehmen, kurz die anwesenden Komparsen zu kontrollieren, und zieht auch prompt ein paar echte Primeln hervor aus dem Zwielicht, insbesondere eine Dame, die angetüddelt erscheint, mit mindestens einem Gipfelstürmer zu viel intus, weil man, wie sie frech erkennt, es hier sonst ja nicht aushielte. Aber auch eine wahre Lady ist anwesend, die in der übrigen Zeit im Opernhaus wohnt und dort goldene Strumpfhosen an Kenner wie den Matthias E. verdealt.
Von der Entstehung der Insel Lanzarote berichtet M. Egersd. zum Auftakt und versteht es dabei, Jahrmillionen höchstkomplexer geologischer Prozesse mit Hilfe einer Handvoll handelsüblicher Lebensmittel so kalorienarm nachzubilden, bis es alle kapiert haben. Der ortsansässige Spanier freilich, nachdem er ziemlich lang auf ihn gewartet hatte, brachte dann die große Wandlung ins Leben des Matthias E. - welcher stracks zum Vulkanologen mutierte. Nun, gut ist das, mag man meinen, dass der Tunichtgut endlich einer seriösen Beschäftigung nachgeht, nicht mehr so oft auf den Straßen von Pompeji herumlungert. Zudem sich ja wirklich jemand um die stinkende Lavasuppe kümmern muss. Nur wäre Egers nicht Egers, wenn er nicht sofort hypergenialisch die tiefverankerte Allegorie aus dem Loch über der Magmakammer geangelt hätte, wonach es zappenduster aussähe, wenn ein gewisser Vulkan, den wir sträflichst verharmlosend „Raubtierkapitalismus“ nennen, ausbräche – und niemand, nicht einmal er, der erste unter den führenden Vulkanologen unserer Zeit könne solch einen Rumms mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit ausschließen. Bravo!
Im Handumdrehen erscheint Bird Berlin - im wahrsten Sinne des Wortes ein „Megalomanisches Heupferdchen“. Ihn, den glitzernden Riesen, können weder Flugzeugträger noch Güterzug aufhalten, die ihm die Vorfahrt nehmen – schwerelos tänzelt er, singt engelsgleich von der Nacht und der Liebe, und ich bin schon gespannt darauf, wie und ob und wenn ja er die hummelgelben Strümpfe noch übertreffen möchte, um die ihn der ganze Saal beneidet. Seit der letzten Vorstellung ist sein Lied noch um zwei Drehungen weiter gereift, ist länger, eingängiger jetzt, und liebreizender. Beim ersten Hören: Überraschung! Beim zweiten: Verwirrung! Beim dritten: Verstehen! Beim vierten: Wiedererkennen! Beim fünften: Mitsummen! Beim sechsten: Schunkeln! Beim siebten: Ausziehen! Wir sind gespannt, wohin die steile Kurve der Entwicklung führt – der Februar darf nun getrost kommen.
Als wäre es die Verschwörung der dicken Männer, als outete sich hier ein machtvolles Triumvirat der überlegenen Beleibtheit und strebte danach, sich einander zu übertrumpfen – so oder auch ganz anders war es, als dann Philipp Balthasar Moll, der dichtende Malerfürst, die Bühnenbretter erklommt, gemessenen Schrittes zum Pulte trat und anhub zu predigen.
Den Molls ihr Philipp zog demnach so meisterhaft vom Leder, dass man sich an der Stille, die sich zwischen den prachtvoll geschmiedeten Sätzen spannte, eine Zigarre hätte anzünden können. Wenn es nicht in Bayern dieses dämliche Rauchverbot hätte.
Über das berühmteste Salzknöchler der letzten 50 Jahre setzt er uns in eingehende Kenntnis, ein Stück Fleisch, zubereitet in Hersbruck mit der erklärten Absicht, die Welt bis zum Horizont mit gegartem Muskel zu fluten. Auf einem Tafelberg aus würzigstem Sauerkraut thront der Elefanten-Fuß, nein: das Dinosaurier-Bein von Schweine-Knie, sich anschickend, den „schwächeren Gliedern der Selektionskette“ per Gallenkolik und Schlaganfall den Garaus zu machen. Mit niedagewesener Präzision beobachtet Moll seine eigene Zunge, seinen Gaumen, Magen und Eingeweide, und versteht es, sich so auszudrücken, dass wirklich nicht der kleinste Buchstabe mehr einer zu viel ist. So, dass einfach alles passt und nix übersteht und keine Lücke klafft. So einfach könnte es sein – wenn's halt nicht so schwierig wäre.
Janein, neinja – hier überschreitet Moll in gewohnter Manier jede Grenze. Kein „Kuttenbrunzer“ (P.M.) könnte einen Hoden aus dem Sack Christi inbrünstiger besingen als er, der anstudierte Theologen-Geselle. Der Einakter „Die Beratung“, mit dem uns Moll abschließend beschenkt, tut ein finaliter Übriges: wir kriegen Hunger. Die entsetzliche Gier nach einem burgartigen Trumm Fleisch wirft uns fast vom Stuhl, und es ist niemand sonst als der nächste Gast, der zackig auf die Bretter tritt, uns vor der spontanen Umnachtung zu retten.
Weil schließlich und endlich dann doch noch ein dünner Mensch: El Mago Masin, mit Zottelfrisur hinab baumelnd bis zum Hintern und noch wo ganz anders, und man will es gar nicht wissen, wie es einen dermaßen erwischen kann, dass er praktisch mit dem Gegenteil von der Frisur vom Egersdörfer selbst geschlagen und gehauen ist.
Masin ist ein alter Bekannter, ehemals Praktikant der Comedy Lounge. Derzeit tourt er mit seinem zweiten Programm „Endstation Zierfischzucht“. Und er ist hervorragend in Form. Je neuer seine Lieder, desto kompakter werden die Pointen, viel überflüssiger Schnickschnack scheint von ihm abgefallen zu sein (außer den Haaren natürlich). Einen Duschvorhang haben vor ihm vermutlich nicht allzu viele Menschen geraucht, zumindest nicht derart geschickt, dass sie danach noch davon hätten berichten können. Der kleine Lichtbildvortrag, der zunächst freihand und in der Fortsetzung auf einem zufällig anwesenden Kopf an die Wand gezittert wird, genauso wie der Bericht aus dem Büro, das ein Bett ist oder andersherum, und nicht zuletzt das Klavierstück sind ziemlich innovativ – erste Sahne sogar. Ein außerbayerischer Fredl Fesel auf Monster-Dope.
Technisch ist Masin definitiv der ausgefuchsteste der Artverwandten, mit ferngesteuerter Gitarre, einem Kinoprojektor im Hemdsärmel und einem Weltraum-Klavier, das in einem Kinderzelt vor den neugierigen Blicken chinesischer Technologie-Spione verborgen werden muss. Und auch seine Flinte scheint gut in Schuss zu sein: zwei kleine Stück Zwillinge warten auf ihn zu Hause und darauf, aus seinen Zottelhaaren mit viel Speichel und Klebrigkeit eine Butzlibären-Frisur zu pichen. Diese sensationellen Details aus dem Leben eines El Mago kitzelt ein vor Neid grün angelaufener Egersdörfer aus der Spargelstange von Blödelbarden. Tja! Auch der Empfang weiblich-hingebungsvoller Fanpost will gekonnt sein, Herr Showmaster!
Insgesamt ein starker Auftritt, der locker hätte der beste des Abends werden können, wenn da nicht noch ein Gast angereist gekommen gewesen gehabt hätte wäre: der „ganz wunderbare“ (Mat. Kl. Frdr. Eg.) Stefan Waghubinger.
Noch ein Theologe, ein katholischer diesmal, der auch vom Predigen nicht lassen kann, und wir dürfen froh darum sein. Waghubinger wird sich längst an ihn gewöhnt haben, als Österreicher, der mit gemütlichem Duktus übelstes Gift verspritzt auf alles, was jemandem nur heilig sein kann. An den Vergleich nämlich mit Josef Hader und Gerhard Polt, der wohl unumgänglich ist und in Waghubingers Fall alles andere als nachteilig. Denn WaHuBi, der seit 20 Jahren sowie für jeden vernunftbegabten Menschen absolut unverständlicher Weise und mit der Begründung in Stuttgart lebt, „irgendwann hätte dann eben Schluss sein müssen mit der Umzieherei“, kann da mithalten. Und zwar in aller Gemütsruhe, bei seiner zweiten Erscheinung schon mit dem Fläschchen Bier in der Hand, so berichtet er von seiner erbarmungswürdigen Gattin („bin ich zu dick?“ - Gegenfrage: „wofür?“), aber auch von Pinguinen, die er für tüchtige aber dämliche Zugvögel hält. Er ist sehr modern mit seinen Stories – einen umfassend gebildeten, modernen Grobian mimt Waghubinger, einen akademisch verbrämten Rüpel, der Wörter wie „Deutungshoheit“ im Ehekrieg einsetzt und stets eine Daumenbreite über dem Humorniveau bleibt, unterhalb dessen es doof wird. Eine intellektuelle Wirrnis tut sich da auf, gefilzt aus Klimaschutz, Konsumkritik, Ehehölle, Sadismus und Kindheitstraumata. Er berichtet so schön langsam, als purzele die Litanei soeben druckfrisch aus seinem Schädel (der nicht komplett leer sein kann, was bekanntlich hier und da auch schon vorgekommen ist http://www.bz-berlin.de/archiv/der-mann-ohne-gehirn-article323447.html), und schon in der Pause juckt die Vorfreude auf seinen zweiten Auftritt.
Vielleicht war es auch ein Holländer, der rein zufällig ins Publikum geraten und zur vollkommen irrigen Schlussfolgerung gelangt war, dies sei eine die Niederlande-um-die-Wette-beleidigen-Veranstaltung. Jedenfalls hatte ja schon der ganzganz böseböse Stefan Waghubinger erklärt, dass ein Anstieg der Meeresspiegel im Grunde harmlos sei, da dann eben die Windmühlen in Holland einfach off-shore, und so weiter, und dann taucht auch noch Frau De Ligt auf und legt los, mit einer ganz zart zisselierten Miniatur über eine ihrer Tanten, welche als Fräulein Kalthauser irgendwo da oben zur Welt gekommen war. Eine wahrhaft literarische Perle mit wunderbaren Bildern und Analogien, die freilich den Großteil des Publikums überfordert. Frau De Ligt, in der Fürther ornithologischen Szene besser als Ringeltäubchen oder Goldkehlchen bekannt, entwickelt eine komplexe Bilderwelt, die uns nicht nur „Datensammler für den Ich-Apparat“ und „Angeln im Menschenteich“ hinter die entzundene Stirne zaubert. Und prompt kommt's zum Zwischenfall, Unruhe erfasst die Fraktion der Minderbemittelten und es wird sich wacker daneben benommen.
„Meinen Sie das im Ernst?“ ruft es aus einer Birne, die offenbar in Panik geraten ist, weil seit fünf Minuten kein Kalauer mehr gerissen wurde. Sondern sich verängstigte Luftmoleküle ducken, um nicht vom messerscharfen Rücken einer Nase entzwei geschnitten zu werden. Die meisten denken halt, es ginge nur darum, zu kreischen und sich auf die Oberschenkel zu patschen, aber Puste-Cake! Hier feiert noch der reine Geist seine Urstände und nicht der miefige Instinkt des Pöbels!
„Saalschutz!“ möchte man rufen, bloß dass es schade wäre, den Windungen der De Ligt'schen Prosa nicht mehr angemessen folgen zu können, also lassen wir es bleiben und fahren fort, gebannt zu lauschen.
Dem Holländer sei es zu Gute gehalten, dass jeder einmal irgendetwas missverstehen kann. An der fränkischen Gastfreundschaft für alle Menschen, denen das schwere Schicksal auf dem Buckel lastet, zwischen Brüssel und Hamburg geboren worden zu sein, tut dies keinen Abbruch. Hartelikke Wellkom!
Ideal abgestimmt zum roten Hemd hält Mat. Egersd. schon den ganzen Abend unter sein Ärmchen geklemmt einen roten Pappendeckel, darin schleppt er die Stasi-Akten seiner Gäste, die er samt und sonders in den Interview-Sessel nötigt. So auch in innigster Verbundenheit Claudia Schulz, Mitglied der Theaterkompanie Zwangsvorstellung und Regisseurin des Stückes „Melde Dich, bitte!“
Wenn die Aufführung, in der Maurice Müller den Hauptdingens macht, nur halbwegs so kurzweilig ist, wie das Filmchen, das eingespielt wird, antäuscht, lohnt sich zwei- bis dreifacher Besuch der Aufführung – man muss übrigens die Originalsendung im Fernseh überhaupt nicht kennen, denn es reicht, dass die Herren Egersdörfer, Moll und der Rest der ganzen Bagage den unaussprechlich hirnrissigen Gefühlsterror einer Frau Leischik auf Sat1 adaptieren, dass es ein Hochamt ist.
Sah Claudia Schulz im Interview noch verdammt gut aus, verwandelte sie sich zur überbordenden Freude aller zum Schluss hin in die sagenhafte Carmen und gab beim schlechtesten Herrenwitz aller Zeiten wirklich alles. Dümmer aus einer Bluse zu schauen, die so violett wie eine entzündete Halsschlagader leuchtet, spielte wohl selten eine; die Pointe, die wenn's mit rechten Dingen zuginge unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fiele, soll jedoch unser aller Geheimnis bleiben.
Donnernder Applaus, der Saal kurz davor, sich gegenseitig in die Nasen zu beißen, große Körpermassen hoppeln empor und lassen uns um die Stabilität der Bühne bangen. Großes Hallellullja und Bird Berlin liebt uns alle!
Und ich brech etz zamm. Mit dem Witz vom Blutegel und dem Zecken, die sich im Pausenhof der Parasitenschule treffen, und der eine zum anderen sagt: „Hi Zecki“, worauf der andere sagt: „Hi Egi“ ... ne, das war wohl nichts. Ist wohl auch gar nicht nötig.
Halt! Fast vergessen: Bier (Weisenoher) scheiße, aber Tontechnik (Andi) super! Licht auch nicht schlecht. Nächste Vorstellung (Vorverkauf Antiquariat Deuerlein): 11. Februar 2014.
Wenn ich am Fluss entlang radele, allein zwischen Aue und Gebüsch, die tiefstehende Sonne leckt an letzten Nebelschwaden und eine eingebildete Viertelstunde lang fliegt ein Eichelhäher nur eine Armeslänge neben mir her und dreht seine blau-weiß gesprenkelten Landeklappen aufs vorteilhafteste ins Licht - dann ist das tausend Mal schöner als alles Krachbumms-Gebrüll und Kreischerei-Gezappel in den Theatern dieser Welt.
Und indem mir ein wohliger Schauder des Glücks an meinem Rückgrat entlang humpelt, frage ich mich: gibt es auch nur etwas annähernd ebenso Schönes von Menschen gemacht?
Ja, lautet die Antwort, so etwas gibt es, mitten in Nürnberg, konkret: im großen Festsaal des Komm, mitten in der herrlichen Vorweihnachtszeit, am 10. Dezember nämlich: ein Abend der Gesegneten war es nämlich, der sich da erhob, möchte ich sagen, wirklich rein zufällig koinzident mit der heiligmäßigen Jahreszeit, und das Volk war herbei geströmt, in die warme Krippe, die Matthias Egersdörfer und seine Artverwandten liebevoll genestelt und gebastelt hatten.
In keinem Augenblick konnte auch nur der geringste Zweifel sein schiefäugiges Haupt erheben, weshalb die dort oben standen, im Licht, während wir anderen unten saßen, im Dunkel. Ein Dunkel übrigens, welches ganz virtuos von einem Herrn Techniker mit Namen Speedy verwaltet wurde. Auf den beiden Stühlen neben mir saßen zwei Unsichtbare, die sich als sehr weich und angenehm für das Sitzorgan erwiesen, als sich zwei Damen obenauf setzten und jene stummen Wesen zum Schweigen brachten. Beginn 20 Uhr.
M. Klaus Friedr. Egersdörfer hat es endlich – vermutlich als allerletzter – selbst begriffen: sein Glück und sein Erfolg im Leben ist zum heutigen Tage schon so umfangreich und schwindelerregend, dass jede Bescheidenheit seinerseits nur noch erbärmlicher Heuchelei gleich käme. Eine langhaarige Schönheit zu sein, die ihren gewaltigen Verstand durch dümmliches Grinsen zu kompensieren sucht, wird ihn kaum noch jemand bezichtigen können. Sein Schritt von der zermürbenden Entgegennahme nicht aufhören wollenden Ehrungen geschwollen, wuchtet er sich kurz hinab ins Parkett, um praktisch keine fünfzehn Beleidigungen später wieder knarzend die Bühne zu erklimmen. Goldene Dukaten klimpern in seinen Frackschößen, selbst und ganz besonders wenn er furzt.
Das Publikum allerdings gibt heutzutage kaum noch was her, abgesehen von Weihnachtseinkaufversagern, deren Verstocktheit der Meister nur mühsam aufbohrt. Die finale Diagnose: „Schwachmaten“. Und zum Ausgleich nimmt er uns mit zu Besuch nach Bonn, in die ehemalige Hauptstadt eines untergegangenen Reiches, von welchem allerhöchstens noch die ältesten Weiber raunen, um Säuglingen das Entsetzen zu lehren. Der Künstler Egersdörfer zeichnet ein Bild dieser Stadt, das deren wesentliche Züge trägt: eine Museums-U-Bahn und die Zentrale der italienischen Systemgastronomie. Ab diesem Punkt möchte man sich ihm anschließen, sich auf eine Wanderung machen, von Bonn in alle Welt, wo immer es gelten mag, Sklaven aus den Fütterfabriken dumpfer Nudelfresserhorden zu befreien, ein Kreuzzug für das Wahre, Gute und Freie, der Meister an der Spitze, verkehrt herum auf dem Fahrrad seines seligen Vaters sitzend („Radsportler wie Willy Arend (1876–1964), Thaddäus Robl (1877–1910) und Anton Huber (1878–1961) wurden Weltmeister auf Panther-Rädern“, Zitat aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Panther_Fahrradwerke_AG ). Angeprangert wird, was angeprangert werden muss – insofern wir alle nicht mehr dieselben sind, danach.
M.E. geht ab, Bird „Bernd“ Berlin geht auf. Hoppelt gazellenfüßig auf die Bühne, zwitschert „Den Sternen so nah!“ zum elektronischen Pling-Plong, quietscht seine Verkündigung wie ein chinesisches Plastikspielzeug mit Brusthaaren und Hängebauch. Weitestgehend nackt, mit Glitzer über und über angetan, mit dem Herz der Liebe in den Pelz rasiert – eine singende Anzeigetafel im Bahnhof des Irrwitzes. Sehr, sehr schön!
Danach ist Moll der erste unter den Artverwandten, der antritt, uns zu beglücken. Moll, der Bürger, der noch gleicher als gleich ist. Moll, der Sprach-Artist, der Erkunder bisher totaliter unerschlossener Wortstämme und -völker. Wie bitte soll man da ruhig bleiben und gelassen, wenn einer ohne zu zögern davon spricht, er sei „in sich selbst eingekehrt“, ihm „werde trüb“ und er leide unter der „zimtenen Tyrannei der Adventszeit“? Da muss man doch zappelig werden und hüpfen und gurren, so aufregend ist das! Von dem guten Ritschie, der den Totschlag nie bös meint, aber immer öfters fort muss, können wir alle niemals genug nicht lernen, diesem Quell der Erkenntnis aus Lauflinks, gleich bei der an eine kranke Fichte genagelten Schuhschachtel, in der aufzuwachsen offenkundig zumindest einem Moll überhaupt nicht geschadet hat. Großartig, Philipp Balthasar, ganz großartig, und wir fordern gierig ein nächstes Buch, das hoffentlich erneut ganz viel Korrespondenz von Dir und mit Dir und wegen Dir und über Dich versammelt.
Obwohl auch er an der Scheißerei-Allergie leidet, springt anschließend Gymmick ein für einen Gast, der auf Grund desselben Leidens die Anreise nicht lebend zur Ankunft gebracht hätte. Gymmick – der Kabarettist vom Dienst? Ja – und Welten mehr. Auch der naheliegende Rio Reiser-Vergleich erfasst nur die halbe Wahrheit, denn selbst wenn aus Gymmicks Stimme gewisse Ähnlichkeiten mit dem „König von Deutschland“ hervorklingen, dann geht jener doch da weiter, wo dieser aus Todesgründen eine Rast einlegte. Wir sehen mit großer Freude, dass Gymmick ein singuläres Niveau seiner Professionalität erreicht hat, er steckt einen Kaltstart genauso souverän weg wie ein genäschiges Schnösel-Publikum oder die wahrhaft hinterfotzigen Fragen des größten Interview-Führers der Stadt und des Erdkreises, Matthias „Geh weg, Du schwitzt“ Egersdörfer.
Gymmick strahlt – um im Bild zu bleiben – tausendjährige Reichsbühnenerfahrung aus, seine überbordende Musikalität, die eben das Gemeinsame ist, für das er zurecht mit Rio Reiser auf denselben Sockel gestellt wird, versagt nicht, weil sie überhaupt nicht versagen kann. Sie ist ein Teil der physikalischer Wesenheit dieses begnadeten Barden. Wir Kernwaffenfreunde sprechen ja gerne von der kritischen Masse, und ich denke, Tobias „Ich bewege mich praktisch nur auf der Bühne“ Hackers Material ist längst überkritisch. Eher schon so reichhaltig, dass ich mir durchaus vorstellen könnte, wie eine geschickte Verkürzung, der Verzicht auf eine redundante Strophe hier und einen ölfilmflachen Kalauer da, eine Konzentration auf die strahlendsten der Pointen dem Ganzen noch zu mehr Kongruenz und Prägnanz verhülfe.
Wiederum besäuselt alsbald der Berliner Vogel eine obszöne Sternennähe, wie eine monströse Putte, wie ein katholischer Alptraum in 5-facher Überlebensgröße. Ein letzter Schwung mit der Hüfte, dann plötzlich steht ein sanft blickender Münchner vor uns, ganz ohne Furcht, ein lächelnder Herr mit schwarzer Brille, meliertem Haar und typisch bayrischem dunkelblauem Matrosenpullover. Die erste Assoziation fordert, dass Moses Wolff bei Helge Schneider Einzelunterricht hatte, doch die These lässt sich nicht lange halten. Der Weihnachtsmann am Fenster, die Betrunkene am Telefon, der junge Bewerber im Schwimm-KZ – aus Moses Wolff sprechen Dutzende Personen mit einer solch lupenreinen Authentizität, dass der wie immer überaus patente Herr Fürbringer vom Fleck weg den Begriff „Inkarnations-Houdini“ prägt. Wolff ist die Heiterkeit in Person, formvollendet und absolut stimmsicher.
Noch im Nachhall dieses grandiosen Auftritts entlässt uns der große Conferencier und Master of Spektakel in eine kurze Zäsur, um den Bedürfnissen des Organischen genüge zu tun. Natürlich nicht, ohne uns an seiner Allweisheit teilhaftig werden zu lassen, indem er Tips gibt, wie man sich mit keinem anderem Hilfsmittel als einer Zunge und einem Toilettensitz wunderbare Fieberschübe ergaunern kann.
Die Pause endet und Meister „Fass mich nicht an!“ Egersdörfer entert standesgemäß das Schiff der Show. Routiniert leiht er sich aus seinem eigenen aktuellen Programm eine Nummer und kredenzt sie in ausufernder, ganz gewaltiger und sorgfältigst durchgebratener Form.
Wenn es eines Beweises bedürfte, dass das gute alte Sprichwort, wonach nicht jedes ausgefallene Haar für jeweils einen guten Einfall im Kopf des Glatzköpfigen gestorben sei, wahr ist, so kann Egers dafür gerade stehen, denn er ist die Ausnahme, welche eben diese Regel aufs trefflichste bestätigt. Caprese?
Ein Bademantel spielt in dieser Glanznummer die zentrale Rolle, mal blütenweiß, mal mit braunen Kackstreifen, mal mit gelben Pisseflecken verziert, und auch das ewiglich perennierende Thema der versalzenen Fürther Warmwasserbadeanstalt verzückt uns wie am ersten Tag. Niemand, der sich da nicht sofort in den Skorpion verliebt hätte, den der Matthias E. nachgerade fahrlässig beim Liebesspiele störte. Und niemand, der nicht den Tsatsiki-Gestank deutlichst in der Nase gehabt hätte, den der ohnmächtige Fettsack verströmte, welchen Mund-zu-Mund zu beatmen der Held schlechterdings sich nicht verweigern konnte. Wobei quasi im Vorübergehen ein ca. 400 Jahre alter Spruch exhumiert wurde, der im östlichen Pegnitztal seit vermutlich dem 30-jährigen Krieg oder noch früher unbemerkt überdauert hatte, nämlich vom Kürassier, der aus dem After riecht. Auch eine kleine Homage an den Kollegen Bembers bildete ich mir ein, hierbei detektieren zu dürfen. Bloß halt konsequent und mit mächtiger Pracht vom Egers zum Höhepunkt gebracht (Bembers kotzt in der Sauna bspw. am Schluss von hier: http://www.youtube.com/watch?v=ZN7OqF5X0fY).
Ganz klassisch: Egers greift ein triviales Thema auf, und sei es nur sein eigenes, lüpft es mit schier übermenschlicher Kraft (die irgendwo in diesem großen Kopf verborgen sein muss) empor und hin zur totalen Veredelungsvollendung – eine Exponentialfunktion in Menschengestalt, ein Bonaparte des Deliriums, der „wider jedes bessere Wissen angreift und gewinnt“, wie er in aller Bescheidenheit sich selbst attestiert. Der aufgeblasene Angeber, der.
Doch lassen wir das. Beschäftigen wir uns lieber mit der ganz überaus bezaubernden Frau De Ligt, die einen offenbar heiß ersehnten Ausgang aus ihrem Kerker nutzen will, um die Welt aufzurütteln. Ganz bezaubernd formuliert sie das Lied ihrer Klage, unvergleichlich köstlich gewürzt mit genau dem richtigen Maß Sentimentalität und Semipermeabilität, Fremdwortverhau und Jenseitsschau, halluzinogener Bettmystik und Satzgestrüpp. Nicht nur einen Kavalier im Publikum müssen die Nächstsitzenden mit Gewalt zurück auf das Gestühl zerren, denn der Wunsch, diesem zarten Wesen gegen diesen grausamen Lindwurm von Ehemann beizustehen, wird gar übermächtig. Der Wunsch, dieser wandelnden Zumutung den eklen Brodem mittels eines Putzfeudels, den keine Putzkraft mehr den alten Nürnberger Bahnhofstoilettenschüsseln zugemutet hätte, zurück in den aufgeblähten Rachen zu stopfen. Nein! Was diese Frau leiden muss, ist kaum in Worte zu fassen, und wenn, dann definitiv nur in eben jene, die sie fand! Wir hoffen das allerbeste und schließen diese zierliche Heldin in unsere täglichen Verrichtungen zur Huldigung des Dadaismus mit ein.
Wieder auftaucht das Nummern-Girl, strahlend wie ein liebenswertes Atom, gewandet in nicht viel mehr als unwahrscheinlich sexy gelbe Strümpfe. Zehn von neun Frauen im Publikum greifen hektisch zum Riechsalz, wenn Bird Berlin zum wiederholten Male anhebt zu trillern und zu tirilieren.
Und dann geschieht etwas seltsames, etwas, mit dem man nach der Pause gar nicht mehr gerechnet hatte. Doch einem der Großmeister muss da eine Zeitkapsel aus der Rocktasche gepurzelt sein, welche promptens auf den Boden schlug und zerbrach. Ein kleiner Scheitan schlüpfte daraus hervor, ein unsichtbarer freilich, der sich hurtig den Staub der Nachkriegsjahre vom Ärmel klopfte und in einen schmächtigen Körper fuhr, der hinter dem Rednerpult bereits gehorsam Aufstellung genommen hatte. Durch die Gestalt, welche von einer Frisur oben abgedichtet wird, welche so aussieht, als hätte der Friseur den Wust schnurstracks mitsamt der Schiebermütze geschnitzelt, - durch diese Gestalt also, die zudem unterhalb der Nase an einer merkwürdigen Wollwucherung leidet, die sogar ein frisch geschlüpftes Küken noch verunstaltet hätte, durch sie hindurch zuckt ein frischer Blitz Leben, sie öffnet den Mund, und daraus beginnen Heinz Ehrhards und Theo Lingens Stimmen zugleich Reime vorzutragen.
Balladen blubbern da sogar hervor, in altväterlichem Stil, der schon in den 1960ern zwar albern, aber nicht komisch war, angereichert mit Vokabeln aus einer möglicher Weise so zu bezeichnenden Jugendsprache, bloß eben dass man sich instinktiv wundert, woher das junge Bürschlein, in das die Geister sämtlicher toter Witzbolde des Wirtschaftswunders gefahren sind, diese Ausdrücke kennt, die außer Mode waren, als er, der Bub, selbst noch flüssig war. Mein lieber Reichsbadewanneninspektor – da hätte sogar meine Mutter von der legendären Bartwickelmaschine gesprochen, die im Keller klappere, wenn Ihr versteht, was ich meine!
Darf ich noch erwähnen, dass Claus Caraut, so der überaus kunstvolle Kunstname des Poeten, nicht einmal davor zurückschreckt, seine eigenen Pointen zu erklären? Ein Büchlein, das er im Gepäck hat, vereinigt wohl einen Großteil seines lyrischen Werkes und irritiert mit einer ganz mystischen Haptik des Einbandes. Doch eine zündende Idee suchen zumindest wir vergebens darin.
Und wieder Birdy Bird Berlini, die singende Anzeigetafel. Wälzte er sich vorhin noch auf dem Boden, wälzt er sich jetzt auf dem Sofa, schwingt das Bein, zittert mit den opulenten Busen. Fast zu kurz kommt mir sein Erscheinen vor, beinahe zu schnell sitzt er wieder auf dem Sofa und beleuchtet das Remmidemmi auf der Bühne mit einem huldvollen Lächeln.
Noch einmal der famose Moses (sorry für den Kalauer, aber ich darf das), mit drei ganz fulminanten Texten, dargeboten vom Hörspielvirtuosen-Ensemble, das irgendwie in diesem Manne drinnen Platz gefunden haben muss und oben aus ihm herausspricht, als sei er eine Rundfunkanstalt für sich allein. Kaum andeuten muss ich hoffentlich, dass eine Einladung zu Radio Bernstein im März 2014 unmittelbar zu Beginn des Hinterhers ausgesprochen und angenommen wurde. Wir freuen uns jetzt schon!
Auch im Interview erweist sich Wolff der Situation gewachsen und hat demonstrativ keine Ahnung davon, dass in Nürnberg die Besatzung Frankens durch bayerisch-münchner Autokraten und in der Folge der Raub sämtlicher Kulturgüter bisweilen nicht ausschließlich positiv gesehen werden.
Als Sahnehäubchen auf der Leberknödelsuppe finalisiert Gymmick, der – auch wenn das Publikum den Witz womöglich nicht zu einhundert Prozent verstand – sein wunderbares Anti-Nürnberg-Lied schmettert, ganz souverän natürlich und natürlich beflügelt vom Stolz eines Kulturpreisträgers der von ihm niedergemachten Stadt.
Krönender Schaum auf dem güldenen Becher, wie jeder Kenner selbstverständlich längst vermuten wird, zum Abschluss der der gespielte Witz, diesmal in doppelter Entfaltung, denn die ganz bezirzend-huldvolle Carmen alias Claudia Schulz erscheint wie die Morgensonne über dem finsteren Tal. Tätowieren hat sie sich lassen, eine Muschel ans Ohr und einen Tampon an den Oberschenkel, oder auch andersherum, und den Bleistift sucht irgendjemand bis heute noch. Standesgemäß und unfassbar unter allem, was auch nur annähernd recht ist. Danke!
Ein Mörderprogramm demnach, diesmal ganz brillant angeordnet, aufgeführt, mitgemacht, durchgelacht und aufgeweicht. Erschöpft und glücklich sammelt das Publikum seine achtzehn Groschen Verstand ein und taumelt erkenntnissatt zurück in seine Heimstätten, in welche hinterwäldlerischen Felsen auch immer diese finsteren Höhlen gebohrt sein mögen.
Die frohe Botschaft ganz klar: es geht weiter, das ist sicher, denn die einzige Bombe, die einschlug, war Moses Wolff und seine Nummer als Inder mit Handtuch-Turban und Nano-Sitar. Die Stadt blieb stehen, auch wenn sich die Amerikaner richtig Mühe gegeben und klammheimlich einen Blindgänger hinter dem Bahnhof versteckt hatten.
Das nächste Mal im Jänner, wenn wir Meister E. erneut mosern und klagen hören wollen: „Leut sind heut wieder da, da sacht ma: naja.“
O wie schön ist es, naja zu sein!
Hin und her wogte das Getümmel, und in den Tagen, die dem 12. November voraus gingen, war unklar, wer den Kampf gewinnen würde: das Adrenalin, welches heiß durch die Rohrleitungen des Kreislaufs schießt, ausgeschüttet und losgelassen unmittelbar vor Beginn einer Vorstellung, die ganz groß zu werden versprach, - oder die schwarze Galle, die herauf brodelt aus den Schründen des Unbefriedigenden, des halbgegarten Halbangebrannten und schlecht Hingeworfenen.
Wehe, wenn sie frei gelassen, Egersdörfer und seine Artgenossen! dachte ich mir, als ich das KOMM betrat, bloß schon zwanzig Minuten später hatte sich der Himmel aufgetan und ein großes Halleluja! blinkte über dem Grand Hotel am Bahnhofsplatz zu Nürnberg. Im Saal vibrierte es, das Volk stand von Anfang an kurz vor Überschreitung der Grenze zur Pfingsterweckung. Jeder Platz war besetzt – zumindest all jene, die ich aus meiner Position in der zweiten Reihe sehen konnte. Ich hatte keine Lust, den Kopf zu drehen, denn dies hätte keinstenfalls ein anderes Resultat gezeitigt: niemand sitzt bei Egers gerne in der ersten Reihe, und dieselbe war bereits bis zum Bersten vollgestopft ...
Der Alleinherrscher des Abends, *Matthias Egersdörfer* war atombombenbrutal gut gelaunt. Geradezu mit kindischer Elastizität hüpfte er über die Bühne, funkensprühend vor Energie und Inspiration – glasklar einer, der weiß, wie's geht. Nachdem schon zusätzliche Stühle eilends herbei geschafft werden hatten müssen, war die Atmosphäre im großen Festsaal von der ersten Sekunde an mit Begeisterung und Jubel gesättigt.
Den leichten Stich im Herzen, welchen die Nachricht, dass *Bird Berlin* leider erkrankt sei, sprich, „es ihm das Gestell zusammen gehaut“ habe, nachdem er bei der vorherigen Vorstellung „zum Niederknien“, wie Meister Egersd. schwärmte, schön getanzt und gesungen hatte, steckten alle widerwillig, jedoch schnell weg (den Stich, siehe Satzanfang).
Liebster Birdy – ein Saal voller liebender Menschen sandte Dir eine fette Psi-Welle gedanklicher Genesungsenergie! Fühle Dich im Geiste unzählig oft gedrückt und werde ganz schnell wieder gesund, damit Du wieder singen und tanzen kannst, Du fabulöses Nummerngirl!
Ein leichter Stich – schnell verheilt und entschwunden, denn Matthias Friedrich Egersdörfer zeigte nun in absolut überragender Manier, was er auf der Platte hat. Seine Nummer über U-Bahnfahrer und fahrerlose U-Bahnen, über die sieben furzenden Engel der Apokalypse und den Styx im Untergrund der Stadt, über griechische Mythologie und die VGN, über Rotz und automatische Klatscher, fehlerfreie Cyborgs auf dem Sofa und die grauenerregende Überflüssigmachung des Menschen an sich – das war nicht nur eine Liebeserklärung, eine soziologische Doktorarbeit und eine Nürnberger Antike in Einem. Das war schlichtweg und im eigentlichen Sinne des Wortes: genial. Es tut mir sehr leid, denn grundsätzlich versuche ich, diesen Begriff ja zu vermeiden, aber es bleibt mir nix anderes übrig: genial – nicht mehr und nicht weniger. Danke, Meister!
Es betrat nun der Praktikant den Schauplatz des Artverwandtentreffens: *Philipp B. Moll*. Moll trauert, trauert um die versunkene Welt an sich, und um eine, die gerade im Begriff ist, zu versinken. Dreier Lehrmeister gedachte er, dreier alter Handwerker, vermutlich längst zu Staub und Duft zerfallen, nach Holz, Leder, Zigarrenstumpen und Altemännersabber.
Der letzte, auf den Moll zu sprechen kam, war der Hausmeister des „Adolf-Hitler-Gymnasiums extrem rechts der Pegnitz“. Von gewissen Scharmützeln berichtete er, die von jugendlichen Kunstadepten mit dem manisch Fahrräder beseitigenden Pedell ausgefochten wurden, doch an dieser Stelle seines Vortrages geschah etwas Fürchterliches …
[Die Überlieferung reißt hier leider plötzlich ab, die Aufzeichnungen sind auf einmal lückenhaft. Denn diverse Akten wurden von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt, in Vorbereitung auf den großen Plagiatsprozess Moll / Egersdörfer, welche Auseinandersetzung sich um eine Anekdote dreht, in der ein in zwei Hälften geflextes und anschließend verkehrt herum zusammen geschweißtes Klapprad ein unabkömmliches Indiz abgibt. Laut einem Sprecher des UN-Gerichtshofs in Den Haag will keiner der beiden Laufer Recken diese Episode je zuvor auf der Bühne zur Sprache gebracht haben, wogegen es jedoch Zeugenaussagen gibt. Eine Kaffeefahrt in die Niederlande sei möglicher Weise geplant, erklärte ebenfalls der Sprecher, die Zeugen allerdings hätten schon Fluchtversuche angekündigt und würden vorsichtshalber erst einmal übel bedroht. Die Ausrede, es habe sich um eine kongeniale Schau in Vorwärtsrichtung der Zeit gehandelt, sei ridikulös, niemand werde gegen seinen Willen in den Straßengraben der Zukunft geschleudert. Wir halten Sie auf dem Laufenden! Und schon scheinen die technischen Probleme behoben worden zu sein, deshalb bitten wir um Entschuldigung und fahren fort im laufenden Programm.]
… anfangs, die Mollsche Marienerscheinung einschließlich Haiku zum Usambaraveilchen, sowie ein paar beiläufige Bemerkungen zum aktiven wie passiven Wahlrecht für Frauen (ab 1918), als auch die Erwähnung von Loriots Geburtstag (1923), - all dies wurde irgendwie nicht recht gewürdigt, das war nicht, was die Leute hören wollten.
Hören wollten sie die Standardantwort auf sämtliche Konfliktanträge seitens des pubertierenden Sohnes, die Molls Vater demselben mit auf den Lebensweg gab: „Ist doch mir wurscht!“
Und gerne lauschten sie auch der filigran wie ein Fabergé-Ei gebastelten Schnurre über den kinderhütenden Sattler oder den „Bankel-Schorsch“, der die elementare Bedeutung der Langsamkeit tausend Mal besser verstanden hatte als jeder aufgeblasene Nadolny.
Denn wenn Moll trauert, dann läuft er zu Bestform auf, er findet dann das richtige Kabel im Wirrwarr, um die Schönheit der Vergänglichkeit direkt in die Seelen seiner Zuhörer zu funken.
Weine nicht, kleiner Philipp! Du bist nicht alleine. Keiner von uns wird diesem beschissenen Schlamassel mit heiler Haut entkommen! Solange aber Moll noch seine Miniatur-Epen drechselt, ist nicht alles verloren. Daher die nachdrückliche Empfehlung: weiter so!
Nicht unerwähnt sollte dabei bleiben dreierlei: Erstens: Moll trägt neuerdings ein herrlich herrschaftliches Hemd, weiß mit roten Streifen, genäht aus der Mitgift seiner Großmutter. Zweitens: in diesem Hemd lässt er sich nach absolviertem Vorsingen auf eines der omnipräsenten Bühnensofas fallen, wo er während der restlichen Show saumäßig gekonnt sitzen bleibt. Und drittens: Molls Buch „Blumen und Wurst“ enthält angeblich nicht das Wort „Usambaraveilchen“, aber zur Sicherheit sollten das so viele Menschen wie möglich selbst nachprüfen!
„Total super!“ setze sich der Auftrieb fort. So beispiellos eloquent nämlich äußerte sich *Thomas Lienenlüke* im Interview zu fast jeder Frage, die ihm der größte Inquisiteur aller Zeiten, ein gewisser Matthias E. aus F., stellte.
Letzterer, bekanntlich ein Bühnengigant, schien sogar ein wenig abzurücken vom Fernsehmann Lienenlüke, welcher selbiger in den freien Raum mehr als aufrückte und mit seinem Arm die Rückenlehne des Liegemöbels demonstrativ leger und komplett belegte, wie ein ganzes Dutzend Liegestühle am Hotelpool – oder lag das nur an meiner demolierten Perspektive?
Nun – so leid es mir, als einem, der sich seit 1000 Jahren einer nationalsozialistischen Erfindung zur Verblödung und Gleichschaltung viehähnlicher Massen, dem Fernsehen nämlich total verschließt, so total, dass sich das gar niemand ausmalen wagt, tut (siehe „leid“ weiter oben) – in Herrn Lienenlükes Gebaren und Vortrag schien mir ab und zu ein wenig zuviel Selbstgefälligkeit aufzublitzen, beobachtete ich – freilich rein subjektiv und durch meine ureigene Birne gefiltert – ein Fehlen jeglicher Selbstironie, dafür aber den nackten Wunsch, als genial zu gelten und gebührend bewundert zu werden.
Lienenlükes Song über die Hochbegabung des Kindes Malte, welche sich am Ende doch nur als eine Ausgeburt der Phantasie des Vaters entpuppt, möchte am Ende vielleicht sogar mehr über den Sänger selbst sagen als über den abgeschmackten Themenkomplex von den jungen Eltern, die nerven mit angeblichen Heldentaten ihrer Kinder. Wir kennen das und haben zuletzt darüber gelacht, als das Fernsehen noch frühmorgens mit dem Fahrrad ausgeliefert wurde.
Traurige Schinkenbrötchen, nahezu standardmäßiges Ostwestfalen-Bashing, dicke Frauen mit Brille, Gruppensex in der Provinz – hm. Bei mir jedenfalls funktioniert der Reflex nicht, den man antrainiert bekommen haben muss, um über so etwas zu lachen, ohne zu wissen, warum. Solche Stereotypen nähren in mir vor allem die Vorfreude auf Nummern, die danach kommen.
Eine „deformatio professionalis“ (Fredder Wanoth) scheint mir hier vorzuliegen – Lienenlüke ist erfolgreich und steckt deshalb ganz tief drin im Geschäft der Massenproduktion von massenkompatibler Unterhaltung für massenhaft Vollidioten vor den Mattscheiben. Der Schornsteinfeger wird schwarz vom Ruß, da kann man nix gegen machen, phrasendrosch nicht nur mein Großvater. Irgendwann ist einer, der immerhin beim großen Rudi Carrell seine Karriere begann, dann einfach soweit, dass er alle „total super“ findet: Sabine Christiansen ebenso wie Tim Mälzer oder Joachim Fuchsberger. Alle „total super“, weil bekannt aus Funk und Fernsehen. Kurzschluss klassikus.
Soweit ist einer, dass er Lieder über Jack-Wolfskin-Jacken und Deutschlehrer und Nachhaltigkeitsfanatiker und Fernreisen dichtet und damit langweilt, weil man dieses Genörgel und diese Gehässigkeit längst über hat. Ist nix konstruktiv, da nur besserwisserische Krittelei. Da mag sich einer nicht entscheiden, ob er politisch korrekt oder das Gegenteil sein will. Opium für ein Volk ist das, das im Grunde eine Hera Lind ebenso wenig wie einen Bushido verdient hat.
Lustig und originell sind allenfalls dann doch einige kleine Einstreuungen wie „Arschloch-Magnet“, die wie feine Nüsse in einem faden Kuchen aus Sägemehl stecken. Unbestreitbar, dass Lienenlüke beeindruckend gut Klavier spielt, die Story vom Zyankali im ehedem „unbepflanzten Blumenbeet“ ist auch relativ subtil konstruiert, und es stimmt auf der anderen Seite schon, dass bei Egersdörfer und seinen Anverwandten ein „knüppelhartes Publikum“ zusammenklumpt.
Bloß bitte! Man spricht doch in Franken unter keinen Umständen in ein offenes Mikrofon, dass „Köstritzer Bier lecker“ sei! Jedenfalls wenn, ja wenn man halt nicht im Geiste schon beim nächsten Werbeblock Halt gemacht hätte …
Rio Reiser gab uns schon vor vielen langen Jahren den bis heute absolut gültigen Hinweis: mach kaputt, was dich kaputt mach. Meine Empfehlung: pack fest zu mit beiden Händen, nimm den Fernsehapparat, das Fenster dort drüben, es ist weit geöffnet …
*Hauk & Bauer* - zum dritten mal bereits zu Gast bei den Egersdörfers ihrem Buben und zum dritten Mal umwerfend und nahezu ohne Fehl noch Schwäche. Natürlich könnte man zwar bemängeln, dass No. 23 etwas weniger Lacher als die übrigen 751 Witzzeichnungen erntete, aber das ist nur ein ekelhaftes Luxusproblem.
Wieso funktioniert er so gut, diese gemeinsame Lektüre von Cartoons auf einer Live-Bühne? Nun: zum einen sind Text und Kritzeleien an sich und gleichermaßen gut – exakt auf das reduziert, was sie zeigen sollen, ohne jeden überflüssigen Strich. Der Betrachter erkennt die Situation mühelos sofort und unzweideutig wieder, in der sich die langnasigen Figuren befinden und sich unweigerlich idiotisch verhalten. Auf eben diese Idiotie wird jedoch nicht mit dem überheblichen Finger gezeigt, hämischer Spott ist hier unerwünscht. Es ist jene Idiotie, die ständig passiert, die uns ständig an unseren Mitmenschen nervt, genauso wie wir mit unserer eigenen Blödheit ständig unsere Umgebung nerven, und dieses Versagen aller Erkenntnis zum Trotz dennoch nie abstellen können, genauso wie Regen und Wind. Also lachen wir darüber – was sonst sollte man schon machen?
Denn – und dies zum anderen – auch die kongeniale Vertonung ihres Opus' durch das Duo selbst stimmt in jeder Hinsicht: Tonfall, Tempo, Stimmimitation, Geschau. Danke Hauk & Bauer. In Nürnberg habt Ihr längst einen Stein im Brett.
In der Pause gab es Gelegenheit, die anwesende Prominenz beim Sandwich-Erwerb zu begaffen. Denn ja: wie sellmals in Robrocks zugiger Halle, draußen in Muggenhof, gibt es jetzt wieder Nahrung im Angebot. KÖSTLICHE Häppchen fürwahr, und wenn womöglich noch eine Alternative zum gräußlichen Weißenoher Bier ausbaldowert werden könnte, wären die „Artverwandten“ schon beinah so rundum perfekt wie das Paradies. Die Technik diesmal übrigens war eben dieses schon, namentlich Beleuchtungskommandant Klaus, der Held von der Steckdose für die verschusselten Comic-Fritzen, und Andi am Tonmischapparat, der die Lautsprecher kein einziges Mal pfeifen ließ. Jedenfalls liefen sie alle auf und schau, sowohl Bildhauer Rösner als auch Ex-Redakteur Radlmaier, sowohl Smul Meier (Fast zu Fürth), Gymmick (frischgebackener Preisträger für Kultur und Dings der Stadt Nürnberg) als auch Maske (Opernhaus) boten ihre irdischen Edelkörper dem schaulustigen Pöbel zur gefälligen Betrachtung.
Ma. Friedr. Egrdfr. konnte es offenkundig kaum erwarten, dass es weiter geht – er ist in der Tat in ausgezeichneter Verfassung, und angesichts der fulminanten Ouvertüre verzeihe sogar ich ihm, dass er sich in einen Auszug aus seinem aktuellen Programm hinein tobt und turnt, das wir natürlich schon kennen, eine der besten Passagen immerhin, die von der Weiberwirtschaft handelt, welche über seiner Kindheit toste und donnerte, wie ein schrecklicher Taifun im Frauenhaus. Obgleich nur aus Versehen, so erwarb er dabei jene beiden wichtigsten Kunstfertigkeiten, die späterhin im Wesentlichen seinen beruflichen Erfolg bedingten: das pausenlose ohrenbetäubende Geschrei seitens der Mutter, wiewohl den Hang zu ausgedehntem Mittagsschlaf und unermüdlichen Umherreisens seitens seines Vaters, welcher als hausflüchtiger Handelsvertreter anschaffte. Ein bemerkenswertes Lehrstück der Schicksalsmächte, gewissermaßen!
Nächstens an der Reihe ist niemand anders als *Natalie de Ligt*, sie erschwebt sich gleichsam die Bühne, gekleidet wie der Gatte in eine rote, bei ihr freilich mit selbstbewusster Stärke spannende Bluse, zum schwarzen Kostüm, so dass der „de Ligt ihr Mann“ dasteht, wie eine enthaarte Karikatur dieser Zauberfee. Nicht einmal gemerkt gehabt haben will der grobe Klotz bei der Show im Oktober, dass schon damals das Ehegespons im Partnerlook erschienen war.
Frau de Ligt kennt die Herausforderung, die etwa auch Musiker oder Romanciers fürchten, die Hürde des zweiten Werkes, im Falle, wenn das erste bereits in den Himmel gehoben wurde. Die Erwartungen des Publikums: ins Unermessliche geschraubt, der Grat: schmal, der Ast: dünn. Neider lauern hinter allen Hecken, um sich schon beim geringsten Wackeln oder Straucheln mit Hyänengeheul auf den Star zu stürzen. Und warum sollte es de Ligt anders ergehen?
Die Antwort ist einfach: weil sie sich der Herausforderung gewachsen zeigt. Was sie nämlich abliefert ist ein wunderbar feinfühliger und hochintelligenter Blick durch die Gefühlslupe auf eine, die einen neuen Arbeitsplatz antritt, und der Blitz möge all jene beim Defäkieren vaporisieren, die nicht wissen, wie unangenehm sich das neue Büro, die neuen Kollegen, der neue Chef, der neue Schreibtisch und der neue Gehaltszettel sich anfühlen, wie eine kratzige Igelfelljacke auf nackter Haut. Vor allem, wenn man dessen gründlich entwöhnt war. Sagte ich hochintelligent? Ja – das meinte ich auch so, aber hier findet sich auch der einzige Pferdefuß des kleinen Referates de Ligts: vielleicht wäre es noch etwas leichtfüßiger (sic!) gegangen, wenn es weniger Fremdwörter gehabt hätte, wenn die Schachtel-Wurm-Endlos-Sätze etwas weniger verschachtelt und verwurmt gewesen wären, etwas früher mit einem Punkt geendet hätten. Vielleicht. Ansonsten ganz tadellos und den Verstand liebkosend. Oder eben buchstäblich: „total super“.
Jedem Abschied wohnt ein Zaudern inne, sagte einmal irgendjemand, und auch der diesmalige Komikerauftrieb geht nicht einfach hinten aus, ohne einen mordstrümmer Schlussstein verpasst zu bekommen. Ein Brocken von Kalauer gespielt vom Meister E. und niemandem anderes als seiner elendiglich bezaubernden Partnerin Carmen, die sich bei ihren Auftritten in der breiteren Öffentlichkeit (Norma, Bahnhof, Mops) hinter dem Pseudonym *Claudia Schulz* versteckt. Eine Doppelpointe sogar wird vor unseren ungläubig knisternden Ohren nur so daher gebügelt, dass es ganz arg weh tut – und so wie amerikanische Forscher an Wandanstrichen arbeiten, die schwärzer als alles bisher bekannte schwarz sein sollen („Forscher kreieren das schwärzeste Schwarz aller Zeiten“, Spiegel online, Wissenschaft, 17.01.2008), erlebt der Saal wohl einen der flachesten Herrenwitze, der je gerissen wurde. Auf eines kann man sich verlassen: wer auch immer im Verlauf des Abends bei Egersdörfer das Gastrecht eines Auftritts missbraucht – den schlechtesten Scherz behält sich der Gastgeber höchstselbst für den Abgang auf, wie den Zipfel Hirnwurst am Schlachtschüsseltag.
Was bliebe noch zu vermerken, um den Dienst an der Vollständigkeit mit Bravour zu absolvieren? Was muss unbedingt zukünftigen Generationen überliefert werden, damit diese lebensfähig bleiben?
Ungezähltes, freilich! Frau Grüner aus Ebach, beispielsweise war anwesend, die ENTZÜCKENDE Wirtin des gleichfarbigen Gasthauses, die gewisse Gewährsleute mit der öffentlichen Bekundung beglückte, sie, Frau Grüner, wäre in diesem Dezember 69 Jahre verheiratet gewesen, wenn sie nicht schon im darauf folgenden März verwitwet wäre. Mit dem Gatten, den sie daraufhin ehelichte, sei sie aber dann immer sehr gut ausgekommen. Egersdörfer jedenfalls gelobte, das Wirtshaus Grüner für ewiglich nur auf Knien zu betreten oder ähnlichen Stuss.
Sollte man noch die sympathische Dame erwähnen, die sich während der Vorstellung ordnungsgemäß beim Chef aufs Klo abmeldete? Und den Mann, der in der ersten Reihe hockte, weil er schlecht sieht, wie er dem schrecklichen Spaziergänger erklärte, und der seine Frau dabei hatte, die er natürlich vor der Heirat nicht abgefühlt hatte, wie Egersdörfer in all seiner Naivität vermutet, weil er, der Mann, dem alle verfügbare Sympathie im Sturm zuflog, damals noch besser gesehen habe und denke, dass sie, seine Frau, sich seitdem nicht wesentlich verändert habe.
Oder dass auch Hauk & Bauer ein neues Buch im Gepäck hatten, das den schönen Titel „Man tut, was man kann: Nix“ trägt?
Und apropos tragen: dass auch der wunderbare Martin Fürbringer Dutzende Frauenherzen zum Erglühen (und einen gehörigen Szenenapplaus zum Aufbranden) brachte, indem er, während er einmal die Bühne flugs wieder freiräumte, sein Bauarbeiter-Dekolleté der Menge entgegen reckte?
Dass die „Affen von dem Deppenheft“, wie der Kolumnist Egersdörfer sein Leib- und Magenperiodikum, den CURT, sowie dessen Macher, mit dem ihn eine innige Männerliebe verbindet, liebevoll nennt, eines seiner roten Hemden versteigern werden?
An und für sich ist bekanntlich jede Einzelheit essentiell, besteht schließlich das Ganze aus seinen Teilen ... Schluss jetzt! Etz langts!
Wir sehen uns wieder am zweiten Dienstag im Dezember, also am 10.12. um 20 Uhr im KOMM, wie bewährt. Und ich muss mich nun sofort nach Bombay verpissen, ein paar Tage im indischen Megamillionen-Höllenchaos ausspannen.
Betrifft: „Egersdörfer und Artverwandte“ (lustige Veranstaltung)
Nürnberg, an einem 15. Oktober 2013.
Herren, Damen, Tafelspitz!
Was macht ein Kritiker, wenn es nichts zu kritisieren gibt? Klar: rasch zum Lobhudler und Stiefellecker sich wandeln! Oder nein. Denn es gibt kein Ding ohne Fehl auf dieser Welt (außer mich selbst freilich), und auch kein Ding, das nicht auch seinen guten Nutzen hätte. Außer Markus Söder selbstverständlich.
Die ganze Sause war rundherum prima, tadellos und einwandfrei. Einfach nix auszusetzen, an keiner der Nummern, an keinem der Vorträge, so dass ich ganz, ganz lange bohren und kratzen muss, bis mir halt doch noch was einfällt, was nicht so toll war. Und zwar die temporale Choreografie.
Will heißen, der Ablauf, der vorsah, dass ganz früh der böse Meister seine Partnerin, die unerträglich dumme und unterwürfige Carmen, auf die Bühne zitierte und wohlig in ihren Lebensschmerz badete, wie eine gerupfte Taube im Weihwasserbecken - das war nicht zielführend.
Denn das fränkische Publikum braucht ein Weilchen, um warm zu werden, es muss wie ein kalter Dieselmotor bei minus 20 Grad erst mit zwei, drei Ster Witzen warm geheizt werden, sich gleichsam in Schwung lachen. Dann verfängt auch eine Depressionsnummer. An und für sich ja kein Beinbruch, aber irgendjemand musste den Preis dafür blechen, und das waren die tapferen Recken, die als nächste an der Reihe waren - und glücklicher Weise ihre Aufgabe meisterhaft meisterten.
Aufführende (in aufsteigender Kragenweite)
Anton Grübener, der explodierende Witz. Philipp B. Moll, der Herr des goldmächtigen Redebildes, das Pigment der fröhlichen Erkenntnis wieder einfach nur so von seinen, Molls, Lippen perlend. Leo Fischer, dynamischer Träger des heiligen Fluches. Bird Berlin, der glitzernde und singende Koloss von Gostenhof. Matthias Egersdörfer, der nicht nur beleibte und artig frisierte. Und - but not least! - Madame du monde, die Frau an der Seite des M. Egersd., die wundervolle Natalie De Ligt, eine hochstudierte Fee, die den Saal sofort verzauberte (zumindest dem Kreischen gewisser Damen zwei Reihen vor mir nach zu schließen).
Da tat ein jeder, was er am besten konnte: Grübener kurbelte das Volk durch eine Achterbahn aus Pointen, schoss mit solcher Frequenz Kalauer aus seiner automatischen Witzkanone, dass am Ende selbst die Stühle kicherten und die Wände grinsten. Der „Humor der Zukunft“, eine seiner Entdeckungen, dürfte wohl stilbildend werden (zukünftig). Ein Besuch seines Soloprogramms sei hiermit strengstens empfohlen!
Philipp Balthasar Moll hingegen blickte zurück auf sommerliche Blödsinns-Festivals, insbesondere auf seinen eigenen Sommer der Liebe, als ihm zu begreifen gegeben worden sein mag, wie nachhaltig gut das Bier und wie unvorteilhaft ihm das Gras bekomme. P. Moll ist ein Gigant der Rede, ein unerschöpflicher Quell frischen Sprachflusses, so klar und süß perlend, dass die Seele sich hinein legen und für ewig darin baden möchte. Jedenfalls bis die Haut ganz schrumplig ist.
Leo Fischer, als sei es überhaupt noch von Bedarfs, dies zu verkünden, ist wohl einer, der einem jener Pioniere gleichend, welche einst neue Kontinente eroberten, den Journalismus durch die unbekannten Gestrüppe des 21. Jahrhunderts führen kann, ja wird und unbedingt muss. Ex-Chefredakteur der Titanic in spe, mit der Gabe geschlagen, stets druckreif zu sprechen und jederzeit wasserdicht zu denken. Er verstand es, einen ganzen Saal, der sicherlich auch hier und da gewisse Einfältigkeiten barg, zu sich hinauf, in die schwindelnden Höhen des Dings, also wo bloß die ganzen Schlauköpfe hindiffludieren zipfelhausen, traktieren und na, ihr wisst schon.
Natalie De Ligt: Da stand sie, diese winzige blonde Frau, die sich bisher irgendwo hinter dem rot-schwarz-gefleckten Gebirge von Ehemann versteckt gehabt haben muss. Die Frau, die den Incredible Egers schuf, die ihn zusammenschraubte in einer Doppelmondnacht, auf dem Grabstein von Luthers Zierkröte. Und sie berichtete aus dem Haushalt des Rotbehemdeten, dass einem die Nasenhaare zu Berge standen bzw. die Nahrungsbröckelchen aus den Zahngruben spratzelten, dabei selbst (also Frau De Ligt) lieblichst gewandet in roter Bluse und schwarzem Kostüm, quasi ein optisches Ausstattungsecho des Gastgebers.
Und er, der runde Herr des Saales selbst, was war mit ihm? Er kredenzte uns ein Derilat der feinsten Art, von musizierenden Bären und hysterischen Dörflern, führte zudem mehrere Kurzinterviews und gab sich als Vorgesetzter mit menschlichem Herzen hinter der Maske eines gemeinen Misogynie-Champions. Eine Wucht auf zwei Beinen.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Vollgepackt das Programm, ein Dargebot besser als das andere. Die vermutlich beste Comedy Lounge der Welt, die jetzt Egersdörfer und Artverwandte heißt, weil halt ansonsten blöde Fragen gestellt würden, was dieses Hochamt des heiteren Geistes mit Comedy zu tun habe. Fragen, die niemand braucht. Ganz im Gegensatz zum gespielten Witz als finalem Abschluss, der zum x-ten Mal den Boden des Fasses, in welchem ein abgestandener Rest guten Geschmackes faulig schwappt, durchschlug. Fantastisch!
Und schau: wenn eben der Anfang nicht so dickflüssig und undurchsichtig daher gewalkt gekommen wäre, im guten alten Komm - wenn nicht - dann hätte es vielleicht den einen oder die andere im proppenbubbeldicht vollgepackten Festsaal buchstäblich zerrissen vor Lachen, mitten hindurch zerrissen, durch den mit Heiterkeit nicht gerade verwöhnten fränkischen Thorax, und das wäre ja auch nicht so schön gewesen, oder? (Plastiksack für die Zuschauerhälften, wegschleppen, aufwischen, wer weiß, was die Leute vorher gegessen haben, usw.). Damit also hätten wir gezeigt: sogar die ungünstige Abfolge hatte ihr Gutes. Q.E.D.
Und übrigens: ein Mensch war anwesend, der sich öffentlich dazu bekannte, ins Pub zu gehen – sicherlich nicht nur in meinen Augen ein extrem mutiges Outing -, und eine Frau mit Keilabsätzen als Füße, was dem Meister Rothemd sehr wohl gefiel. Obendrein war der Postillon aus Fürth zugegen, höchstselbst, leibhaftig und in personam, und alle behaupteten, dieser sogenannte Nietzsche-Vorfall sei ein abgekartetes Spiel gewesen, aber ich glaube, da wird geflunkert, weil wenn es solche Zufälle nicht gäbe, täte mit dem Zufall selbst etwas nicht in Ordnung sein, und dann hätten wir ein ernsthaftes Problem.
Das nächste Mal sich aus dem Haus begeben müssen wir uns erst wieder im November, am zwölften, dann trifft sich die Artverwandtschaft wieder - alle anderen Unterhaltungsveranstaltungse, was auch immer man uns einflüstern wird, sind's kaum wert, eine Unterhose da anzuziehen für. Naja. Fast alle.
Gez. T. Trotzki Fuchs, Obermeister, II. Stufe, Spaßpolizei (Humorpräsidium Burggraf).
Zappadauß, Völker! Ich sage es Euch gleich, mir schlägt die Hitze auf die Galle. Kochen tut's da drin in dem grünen Beutel, in dem die Schrecken der Wut und der Bitternis wohnen, und ich bin teils teils.
Teils höchst zufrieden und sehr glücklich, teils auch niedrigst verärgert und unversöhnlich. Aber so geht es einem, wenn er zur besten Comedy Lounge im uns bekannten Teil des Universums pilgert, um zu lauschen dem Meister Egersdörfer und seinen komischen Gesellen, die da kamen aus Nah und Fern ins Komm zu Nürnberg am Dienstag, dem 18. Mai im zweitausendunddreizehnten Jahre nach dem Jahr, welches giltet als das Nullte.
Ohne Mikrofon geht der Meister hinterrücklings auf die Runde, verbreitet zwischen den Reihen schleichend so viel Schrecken, wie ein scheinbar harmloser Spaziergang eben nur Schrecken verbreiten kann. Zart und ganz unverfälscht erklingt sein unverstärktes Stimmchen, süß und kräftig gar wunderbar zugleich, und Engelbert Humperdinck hätte den Herrn M. Egersdörfer wohl vom Fleck weg engagiert, würde der Laufer Kaventsmann (r. d. Peg.) nicht rettungslos den Wagners ihrem Richard sich verschrieben haben.
Im Zentralcafé drinnen sitzen wir heute. Draußen, im frühsommerlichen Atombackofen hat es fünfhundert Grad, obwohl ja inzwischen auch kein Mensch mehr diese Hitze brauchen kann. Scheiß Regierung. Die Bude jedoch ist voll, die Hinweisschilder klar lesbar und zweimal kontrolliert, selbst der letzte morsche Bimmelbammel fand seinen Weg, den richtigen nämlich, und Fürbringer, der edle Ritter, schleppt hurtig Extragestühl herbei, damit niemand stehen müsse, was ja doch nur des Meisters gefürchtete Neugier entzündet hätte.
Die weiße Hose, die er heute mit rotem Hemd, Glatze und miserabler Rasur kombiniert, ließ es vom ersten Augenblick an befürchten: Herr E. ist bestens gelaunt! Warum sie dachten, bei diesem Bombenwetter in die Comedy Lounge rennen zu müssen, fragt er die Herde, anstatt dass es, das einfache Volk, in aller Ruhe acht Seidel Bier auf dem Balkon presse.
Ein Herr, der sich – völlig vergeblich – in die hinterste Reihe verdrückte, um nicht angesprochen zu werden, klärt uns auf: er hätte die Karte gekauft, als der Sommer noch kalt und verregnet war, und mit gutem Wetter im Juni habe nun wirklich niemand rechnen können. Jaja. Die Frau mit den Übergangsstiefeln war an diesem Abend allerdings unentschuldigt ferngeblieben.
Egersdörfer erklimmt elegant das Podest, um die Gemeinde aufzurütteln und zu warnen. Kein billiger Klamauk werde geboten bei und in dem und mit dem, was nun folgen würde, und niemand könne es mehr verhindern. Vielmehr werde sich ernsthaft mit Philosophie, Oper und amerikanischer Volksmusik beschäftigt, und zwar ausdrücklich, damit es endlich wieder Protest und Zwischenrufe gebe, was diese Veranstaltung überhaupt noch mit Comedy zu tun habe. Geschehe dieses, so bitzele es ihm, verkündet Matthias Friedrich E., „am Spitzel“, auf dass er die innere Verrottung der Welt entlarve.
Egersdörfer bittet zunächst die Regisseurin und Schauspielerin Claudia Schulz zu sich auf die Bühne: Zweitausend Jahre Wagner. Tannhäuser. Schulz. Die logische Abfolge könnte klarer nicht sein. Der Meister und seine altbewährte Spielleiterin lassen die Katze aus dem Sack: im „Circuß Wagner“ (im Nürnberger Stadtpark) soll ein Spektakel veranstaltet werden (am 3. und 9. Juli), welches seinesgleichen in dieser Welt lange wird suchen müssen. Ja, auch in Bayreuth.
Egersdörfer grinst dabei als hätte er niemals nix mit nichts zu tun. Ganz doof guckt er aus der Wäsche, tut die ganze Zeit so unschuldig wie ein Zeisig.
Doch dann beginnt er, mit dem freien Stummelärmchen zu fuchteln wie ein steinzeitlich-kommunistischer Winkapparat, singt und spricht zum eigenen Dirigat so lieblich wie ein Seelöwe. Es stellt sich heraus, dass aus einem dieser kleinen gelben Reclam-Hefte, das er vermutlich am Fürther Wertstoffhof geklaut hat, abliest und trällert, und zwar eben gerade Tannhäuser, diesen obskuren Oberporno-Schinken aus der Feder des durchgeknalltesten aller deutschen Opernschmiede.
Frau Schulz, die in Wuppertal und Erlangen ihr schmutziges Handwerk erlernte, verspricht, einen Spitzengipfel der Wagnerei zu inszenieren – denn Egers übernimmt sämtliche Rollen vom Pferdeknecht zur Göttin Venus, den Staubsauger, die dauervögelnden Wuchtbrummen, das Uranbergwerk alsgleich die Lustgrotte herself. Das klassische Orchester mit dem leider etwas hirnrissigen Namen „ensembleKONTRASTE“ fiedelt und pfeift, alldieweil das Bühnenbild gestaltet wird von dreien der berufensten Gestaltern der Stadt und des Erdkreises: Anders Möhl, Philipp Moll und Martin Fürbringer. Eine „Meta-Nostalgie“ werde man induzieren, orakelt letzterer, nämlich qua gedrittelter und in contradictum dreifacher Collage. Man darf sich also jetzt schon fürchten!
Das ganze Team hört schon seit einigen Tagen fieberhaft CDs, liest Librettos und Analysen, und entleiht sämtliche Wagneriana aus der Stadtbibliothek bis der Strafgebühreintreiber im Morgengrauen die Wohnungstür eintritt.
Menschen mit Hau machen Oper mit Hau von Komponisten mit Hau. Mein lieber Arnold! Das sollte sich kein Seelchen entgehen lassen –
Es folgt: Frank Fischer – ein alter Freund und zum wiederholten Male Gast in der Comedy Lounge, schon seit den Zeiten des Club Stereo, des Gostenhofer Lofts und Meister Robrocks. Ein langjähriger Bekannter also, ein Veteran der Comedy und ein 100%iger Profi.
Und so leid es mir auch tut: genauso langjährig überholt und längst angestaubt wirken auf mich die Kalauer, die Fischer abfeuert. Ihr kennt Euren Kritikus und wisst, dass ich stets auf der Suche bin nach neuen Inhalten, nach neuen Konzepten, nach neuen Witzen – überrascht will ich werden und beeindruckt. Herr Fischer hingegen langweilt.
Wie?
Handwerklich perfekt vergeudet er sein Talent, Stimmen und Dialekte nachzuahmen in billigen Schaffner-Blödeleien. In äffischen Versuchen, Radio- und Fernseh-Werbung zu parodieren ohne indes zu merken, wie er selbst zur Parodie wird, zur Parodie eines Comedians, dessen Leben nur noch aus Zugfahrten und dem täglichen Konsum von 200 Privatfernsehkanälen besteht.
Und sei's auch nur für's Protokoll: Witze über die absurd klingenden medizinischen Bezeichnungen der zahllosen Spielarten krankhafter Ängste (unter anderem der „Bibliophobie“) sind seit ca. 15 Jahren out. Seitdem es nämlich bspw. im Internet zahlreiche Verzeichnisse, Blogs, Listen und Analysen dieser Begriffe gibt, die Beweis dafür sind, dass ein bestimmter Witzmechanimus ganz kurz, nachdem er massenkompatibel wird, ins Unerträgliche abstürzt. Vgl. „Häschenwitz“, „Blondinenwitz“ usw.
Billigbücher, die Flug- und oder Anschlagsängste behandeln oder all die dummen Sprüche, die sich inzwischen praktisch in überbordender Masse generell um den Volkssport Fliegen ranken, nachgerade lexikalisch erfassen, füllen heutzutage in der Filialbuchhandlung ganze Regalwände. Doch für Fischer stellt nicht einmal die Albernheit, welche eine Bezeichnung für „Angst vor Bibern“ bei ihm auslöst, eine untere Grunze für das Niveau dar. Als wäre er die BILD-Zeitung persönlich assoziiert er eine Baumarktkette und findet das offenbar selbst noch originell. Auch den faden Kaviarwitz „Stör ich?“ lässt er nicht aus, nicht einmal die lascheste aller ausgerauchten Spötteleien über Panflöten spielende Inkas umschifft er. Lies den „Postillon“!, möchte ich ihm zurufen, dann merkst Du, wie abgestanden Deine Themen sind!
Ansonsten siehe auch:
Wie gesagt: prima Stimme, fehlerfreier Vortrag, ein tadelloses Talent für Ausdruck, Tonfall, Dialekt plus mimische Hintermalung – bloß die Inhalte! Unendlich öde. Wie ein kalter Furz im Tunnel!
Wenn ich das hier sage, ist es alles andere als böse gemeint! Wer sich jedoch in die Spaßmachergilde begibt, muss sich auch immer mit den Größen des Faches messen lassen: sei's Django Asül, sei's Josef Hader. Und Frank Fischer hätte das Zeug, um ganz oben mitzumischen – wenn es ihm jetzt noch gelingt, sich Relevanz draufzuschaffen. Luft ist da auf alle Fälle noch drin, viel Luft nach oben.
Dass ein Sven Kemmler, welcher als nächstes in die Manege geschubst wurde, bei dieser Vorbereitung allerdings nichts mehr anderes konnte, als im Wesentlichen fiaskös abzustinken, dürfte nun niemanden Wunder mehr nehmen. Und Kemmler stank ab. Langatmig, selbstgefällig, wortreich einen ganzen Reichstag der Einfallslosigkeit mit buntem Pathos einwickelnd, säuerlich müffelnde Moral notdürftig mit einem rasch abblätternden Anstrich aus lahmen Pointen verhüllend.
Da steht einer, der zumindest in Franken als der Prototyp eines Münchner Stenz durchgehen könnte: eitel bis zum Platzen, Gestus und Sprachmelodei des Heinrich Mann'schen Oberlehrers aus Kaisers Zeiten und geschmückt wie die schwarze Madonna vom Staffelberg an Mariä-Himmelfahrt.
Dieser Typ, der mit extravaganter Brille, fünfzehn silbernen Ringen an jeder Hand und fetter Armbanduhr am Handgelenk dasteht, mit mehrteilig getrimmtem Bärtchen – wie Nachbars Zierrasen - und Ohrläppchen-Sticker, dieser Großmops will mir, der ich seit 15 Jahren keinen Fernsehapparat mehr von hinten angeschaut habe, in schier endlosen Laberei-Erbrüchen die Dummheit und Obsolenz von sowohl Herrenkosmetikprodukten und Modeaccessoires als auch des Reklamegeschreis für dieselben nahebringen.
Nä. Nope. Nada.
Wie ein zukünftiger Bundestagswahlverlierer der SPD doziert und predigt er das Volk in einen Trance-Zustand hinein, wie er sonst nur in Kirche und Parlament grassiert, mit einer, das sei Kemmler zugutegehalten, ganz formidabel schmeichelnd-streichelnden Stimme, die im dem Prediger vorbehaltenen Zwischenbass summt. Schade, dass er an demselben Gebrechen wie bisweilen der Verfasser dieser Kritik leidet: er findet kein Ende, er kann nicht kurz und konzentriert, er faselt. Das letzte, woran ich mich erinnere, ehe ich in eine private Meditation über glitschende Nullbegriffe abdrifte, sind Ausführungen über Spam-E-Mails …
Mein Fazit: die globale Rohstoffkrise scheint nun auch endgültig die Witzindustrie erfasst zu haben, der Recycling-Gedanke breitet sich in natürlicher Konsequenz in den Gehirnen der Komiker unaufhaltsam aus wie die spanische Nacktschnecke.
Einer wie ich, dem das Nörgeln und Motzen pures Lebenselixier bedeutet, konnte also einen großartigen Abend verbuchen, mit Futter für das Beschimpfungstier, das in meinem Herzelein haust, auf Monate im Voraus.
Egersdörfers Comedy Lounge jedoch wäre nicht sie selbst, wenn sich dann nicht noch, als alles klar und abgefrühstückt scheint, ein überraschender Höhepunkt aus dem großzügig geschnittenen Kopfschädel des Meisters winden würde, wie der Duft nach frischer Krautwurst mit Bauchfleisch und Sauerbraten nach einem langen Tag in einer veganen Suppenküche: das Interview!
Ganz großes Kino war das! Ein Gottesdienst des Geistes fürwahr, fast unnachahmlich wunderschön! Bernd Batke nimmt Platz, mit Hut und Dreitagesbart herausgeputzt, fläzt ebenso schlampig wie der Gastgeber auf dem schwarzen Sofa. Batke zupft den Bass und singt in der Unterhaltungskapelle Smokestack Lightnin', die sich beiden Sorten Musik verschrieben hat, dem Country und dem Western (geklaut und alt, gefällt mir aber immer noch so gut wie 1982 beim ersten Mal im Kino).
Das haben sich zwei gefunden. Selten passte dieser Spruch besser, und mir dünkt, dieses Gespräch hatte genau die Qualität, die immer alle von „Wetten dass …?“ fordern, aber nie bekommen. Zumindest stelle ich mir das so vor, denn ich habe ja schon vorhin behauptet, dass ich gar nie nicht fernsehe.
Smokestack Lightnin' veröffentlichten mit „Stolen Friends“ kürzlich ihr sechstes Studioalbum, das sie wahrlich und wahrhaftig in Nashville, Tennessee aufnahmen, inklusive Mitwirkung diverser Größen der Szene, die nicht bei jeder Doldi-Kombo mitwirken. Sogar der Name „Lambchop“ fiel. In Worten: Lambchop. Doch Batke berichtet ganz unaufgeregt. Je cooler er davon erzählt, wie er Bela B. kennenlernte (in Worten: Bela B.!) und selbiger Smokestack als Band anheuerte, und wie unbeeindruckter er sich zeigt gegenüber allem Ruhm und Rummel, desto verliebter wird Matthias E., erhitzt sich, schlittert wohlig maunzend hinab in einen roseéfarbenen Strudel der „Altershomosexualität“. Der Meister, so Batkes geistreiche Beobachtung, verbinde gleichfalls Schönheit und Tragik, so wie die Musik seiner Band.
Themen werden angeschnitten, die sonst keiner anschneidet: wie sage ich's den Eltern, dass ich doch kein Beamter werden möchte? Wie bekomme ich fortwährendes Feedback vom Bridge-Kränzchen der Mutter, wenn die Zeitungen meinen obszönen Ausfluss abdrucken? Wie schafft man den Spagat, ein möglichst großes Publikum zu erreichen und gleichzeitig sich selbst treu und auf akzeptablem Niveau zu bleiben? Ob man ebenfalls eines Tages so weit gesunken sein wird wie Roberto Blanco, der dem Vernehmen nach vor Auftritten eine geheimnisvolle Erfindung namens Streuhaar auf die raumfordernde Lichtung seines Kopfhauptes appliziert.
Quasi wie ein Bauer im Vorübergehen bekommt Egersdörfer, der inzwischen davon phantasiert, abgeschleckt zu werden (wo, bleibt ungewiss), während er der „Stolen friends“-Platte lauscht, sogar probehalber ein paar neue Künstlernamen verpasst: Roy Lotion zum Beispiel stände ihm gar nicht schlecht zu Gesicht.
Ein spratzelnder Geländelauf also durch das Gestrüpp der Unterhaltungsindustrie, und als Obendreingabe ein exzellenter Buchtipp: Franz Dobler - „Tollwut“. Die einzige Frage, die mir niemand beantworten hätte können, wenn ich gefragt hätte, lautet: wieso zettelte man nicht gleich eine große und großartige Diskussion mit allen Künstlern und dem treuen Publikum an, dessen Intelligenz nicht ausreichend gerühmt und gepriesen werden kann, zwischen Urknall und Kältetod des Universums.
Danke, Herr Egersdörfer! Ehrlich schonungslos, zum Abschlecken liebenswürdig – ich möchte fast sagen: respektvoll respektlos. Bzw. exakt anders herum. Das trifft's. Ein geiles Interview war das zum wiederholten Male, und zum Glück hielt Fürbringer, der Geistesgegenwärtige, seine Kamera auf das Geschehen, so dass nichts verloren ging.
Und weil man aufhören soll, wenn's am Schönsten ist, beschenkten uns M. Egersd. und seine kongeniale Partnerin Carmen Sch. mit dem gespielten Witz. Wie stets lässt sich kaum beschreiben wie baff und perplex der ganze Saal dem Wunderwerk folgte: die wenigen Stunden zwischen Internetrecherche und Zuraufführungsbringung hatten hingereicht, dass Egersdörfer & Schulz den Herrenwitz mit traumwandlerischer Präzision und unnachahmlicher
Charakterdarstellung in Szene setzten!
Die Lounge im kommenden September wird leider entfallen, trotzdem die Sommerpause im August ist. Denn Egers ist so etwas von unterwegs im Lande, dass er gerade mal noch genug Luft hat, um kurz durchzuschnaufen, wie ein Karpfen auf dem Trockenen zwischen Diesseits und Jenseits, und dass es erst im Oktober weiter gehen wird, im Komm, und zwar am achtzehnten, weil's grad so schön ist.
Dann gibt’s auch keine Ausrede mehr – wer's verpasst ist nämlich voller Eimer selber schuld.
Ich lüpf die Mütz, mein lieber Herr Kometenzählverein! Da kamen sie wieder, die Leute, so zahlreich erschienen sie, wie man es ihnen wohl auch geraten hätte. Denn wer fehlte am 14. Mai, im großen Festsaal von dem KOMM, der verpasste glattestens eine fulminante Show. Der Schulgong schlug die achte Stunde, auf dass jede Armesünderseele im Saale zitterte bangend davor, dass der große Meister Egersdörfer herniederfahre auf die Elendsgestalten, um zu scheiden die Depperten von den Doofen.Doch dann: Überraschung! Die Stimme der Egersdörferschen Gefährtin Carmen erklang aus den Lautsprechern, von hinten hatte sie sich herangeschlichen und begann vollkommen unerwartet den traditionellen Spaziergang des Schreckens.
Was war geschehen? Ein Putsch? Ein Schisma? Nicht wenige Anwesende dachten schon, Carmen hätte den Matthias E. (190-189-190) dödelig geschlagen, gefesselt, kopfüber in die Kartoffelkiste gesteckt, mit nichts anderem bekleidet als einem weißen Feinripp-Unterhemdchen, und wolle ihn nach der Show zerhackstückeln, anbraten und auffressen … kurz: der Abend hielt von von Anfang an sein Versprechen, überaus skurril zu werden! Einen Spaß würde sie es nicht nennen, was uns erwartete, verkündete Carmen ungewohnt undevot. Die schlechten Aussichten unterstrich sie durch ihre wie immer gekonnt grässliche, ganz grausam hässliche kotzviolette Bluse. Darin hatte sie definitiv nicht mehr viel zu verlieren und bohrte im Publikum nach unterhosenlosen Sexualwichten, Hartz IV-Schmarotzern und Alkoholikern. Zwei ungezogene Zuspäterscheiner verwies sie in die letzte Reihe und forderte die männliche Hälfte der Erdbevölkerung (Mensch) nachdrücklich auf, sie während der Pause in begattender Absicht in der Garderobe aufzusuchen. Wohl niemand wird je erfahren, wie viele Lüstlinge Folge leisteten ... Nur eine Millisekunde lang ließ sich ein abgebrühtes Publikum täuschen, als Carmen, die offensichtlich irgendwann keine Lust mehr hatte, sich mit einem unkooperativen und ungebildeten Publikum auseinander zu setzen, schließlich den ersten Akt des Abends ansagte: einen Neukommer, den sie angeblich in einem öffentlichen Pissoir in Fürth aufgegabelt hätte.
Die versteckten Hinweise (Fürth, Pissoir) waren schlichtweg eindeutig – natürlich war es der dreieiige Zwillingsbruder des feinen Herrn Egersdörfers, der unmittelbar vor der Geburt in den Kopf des Originals gefahren war und sich dort seit Jahrzehnten von den Haarwurzeln seines Wirtes ernährt. Meister Egersd. himself wirkte dementsprechend angepisst und grimmig, noch schlechter gelaunt als sonst, unwirsch und im Grunde seines Herzens miserabel ausgeschlafen. Seine Ansprache hub mit an mit der Klage, welch schlechter Einschläfer er sei. Dass er in freistehenden Betten überhaupt kein Auge zu tun könne, und dass er Leute hassend bewundere, die im Niedersinken einschliefen, noch ehe sie die Matratze berührten. Und manchmal zu allem Überfluss wie ein Klaus Hammerlindl dabei ein Glas Bier in der Hand halten und dort haltend belassen könnten. Dass er sich früher selbst in den Schlaf wog, gestand der Meister, indem er hinter geschlossenen Augen reihenweise Chemielehrer und Supermarktkassiererinnen mit großkalibrigen Waffen abknallte und wegpustete, als sei er der Hauptdarsteller in einer schlechten Pulp-Fiction-Persiflage. Zerplatzende Köpfe, Blut, das in Strömen fließt, schreiende Opfer – man darf wohl froh und glücklich darüber sein, dass Matthias E. diese intimen Geständnisse erst jetzt, da er sich eine gewisse Narrenfreiheit erarbeitet hat, macht, denn sonst müsste man zur Comedy Lounge wohl schon seit Jahren zur Präventivabteilung in die Mannertstraße 36 pilgern. Wie dem auch immer sei – in seinen jungen Jahren pflasterten Leichen den Weg in seine Träume, bis er des Massenmordens überdrüssig und dieses somit als Waffe gegen die Schlaflosigkeit stumpf geworden sei. Zu gegebener Zeit lösten dann Selbstmordphantasien das ab, wofür die meisten anderen Menschen Schäfchen herbeizitieren. Egersdörfers suizidale Schilderungen werden noch hier einen Tick eigenwilliger und persönlicher, rühren phasenweise bereits an jene gewisse Stelle, auf die man drücken muss, um den Magen nach außen zu stülpen. Doch letztenendes sei auch der Suizid, so M.E., auf Dauer kein gangbarer Weg mehr gewesen. Heute stelle er sich einfach vor, er sei an einem anderen Ort, auf der Alm, auf einer Ölplattform, am Strand einer Lagune, womöglich begleitet von barbusigen Sennerinnen bzw. anderem entsprechenden Personal. Und überraschte uns alle mit der Erklärung, soeben einen Lobgesang auf die Altersmilde vom Stapel gelassen zu haben. Müssen wir uns Sorgen machen? Vorerst noch nicht, denke ich, auch wenn mir die kuschelnden Gerüstbauer vom Anfang des Jahres beträchtlich besser gefallen haben. Carmen wiedererscheint und liefert sich ein kurzes Scharmützel mit ihrem Bühnenpartner – der weist sie endlich gebührend zurecht, auf dass sie gefälligst schweige mit ihren üblen Lügengeschichten aus der Psychiatrie und anderen ekelhaften Themen, die auf der Bühne nichts verloren haben.
Der Lichtkegelwerfer wird hochgefahren, auf der Leinwand glühen Farben und Linien auf: die Zeit des gezeichneten Witzes bricht an, indem der einen Hälfte des berühmten Duos „Rattelschneck“ das Wort erteilt wird. Aber was dann kam – ich muss sagen: was sollte das denn? Heimatland! Ich konsumiere immerhin seit November 1979 die TITANIC und war absolut hin und weg und begeistert, als Anfang der 1990er darin die ersten Primitiv-Cartoons auftauchten, scheinbar dreckig hingerotzt, obszön, anarchisch, mindestens schmerzhaft, häufig sogar selbstmordanschlagsmäßig krass. Rattelschneck waren Pioniere, die Speerspitze des anarchischen Comics und Stulli das Pausenbrot schrieb ganz groß Geschichte. Bloß live auf der Bühne? Mit so viel Enthusiasmus vorgetragen als ginge es darum, in einem leeren Stadtbus die Haltestellen durchzusagen? Wenn man den Sprecher nicht einmal sieht, der sich nicht zu schade ist, Pointen zu erklären, die jeder kapiert hat („die haben rasierte Beine“)? Also nein. Das war nicht gut. Überhaupt nicht. Da half weder Fräulein Harriet, die einen Part der Vorlesung übernahm, noch als Entschuldigung, dass der andere Rattelschneck nach Schweden gereist war. So leid es mir tut: diese Vorstellung war eine Zumutung. Rattelschneck tun sich keinen Gefallen damit, derart uninspiriert und gelangweilt ihr Ding ab- und runterzuspulen. Sie verprellen die alten Fans und gewinnen keine neuen – all dies haben die an sich großartigen Witzzeichnungen nicht verdient. Zurück ins Kämmerchen, lautet meine Empfehlung, und die live performance nochmal gründlich überarbeiten! Vielleicht auch einfach mal zugucken, wie Hauck&Bauer oder unser Gymmick es machen - Dass Rattelschnecks Auftritt in die Hose ging, fiel auch deswegen auf, weil der Abend für meinen Geschmack extrem gut besetzt war.
Sonst kein Ausfall, kein Flachwitzler, keine Karnevalsnase. Die Lokalmatadoren solide, das Interview fabel- bis sagenhaft, der Gastkabarettist eine Art Epiphanie. Letzterer ist nämlich seit diesem Abend mein persönlicher Favorit - und so sehr ich alle Künstler, welche die Bühne bevölkerten, schätze, liebe und verehre – eindeutig und überragend war: Hans Krüger als der Pilot. Ich kenne nur ein oder zwei andere Menschen, die gerade annähernd so vielfältige Geräusche ausspucken können wie Krüger. Dieser spricht und gurgelt und pfeift, als hätte man ihm ab Werk drei Luftröhren und vier Klappenapparate in den Oberkörperkasten montiert. Hans Krüger dürfte zudem einer der seltenen Kunstkomiker sein, die das Puppenspielerhandwerk a) in der DDR und zwar b) auf einer speziellen und vermutlich linientreuen realsozialistischen Berufsfachschule gelernt haben. Ein Profi mit Talent, was keine Selbstverständlichkeit ist, virtuos und vielschichtig, mit tausend Zungen begabt, des pfeifenden „s“ mächtig und voller Imagination und Strahlekraft, so dass die Aluminiumleiter, die Hans Krüger bestieg, tatsächlich 7.000 Meter hoch zu sein schien. So viel Artistik war selten in Egersdörfers Comedy Lounge, wo normaler Weise der Geschicklichkeitshöhepunkt darin besteht, dass der Gastgeber vom Sofa aufsteht. Ich fand es brillant, wie Krüger den Berliner Volldeppen gibt, der versucht mit der U-Bahn nach Nürnberg zu fahren Der so überdreht und aufgeregt mit einer toten Ratte fuchtelt, dass jeder durchgeknallte Speedkopf in Berlin Mitte gefasst wie ein Nachrichtensprecher im ZDF wirkt. Der bis an die Grenze zur Unverständlichkeit spotzt und stottert, wie mein 4-jähriger Neffe, nachdem er zum ersten Mal gesehen hat, wie der Rasenmähermotor anspringt und blaugrauen Qualm abbläst. Den ersten Teil seines furiosen Auftritts beendet Krüger mit dem wohl geistreichsten Schluss, dem ich je beiwohnte, indem er mitten im Satz sagt: „ich hör auf, ich bin erschöpft“. Und ab geht er. Dass sich Hans Krüger im zweiten Teil nach der Pause noch einmal selbst übertraf, möchte ich kaum noch erwähnen müssen. Diesem Mann wünsche ich die allergrößte Aufmerksamkeit eines unermesslich zahlreichen wie zahlungswilligen Publikums.
In der Pause legte irgendein gebildeter Mensch an der Technik die Platte „Who's Next“ von The Who auf, was mich „ein Stück weit“ mit dem schlechten Licht versöhnte, das im KOMM doch eigentlich nicht notwendig wäre. Pausenüblich strömte alles auseinander, Bier wurde weggebracht und nachgekauft, und alle hatten ganz viel zu sagen, nachdem sie eine Stunde lang den Mund halten mussten. Eine Dame, die offensichtlich zum ersten Mal die Veranstaltung besucht, fragt völlig verstört einen Veteranen der Lounge: „Ist das immer so ein Quatsch?“ - Antwort: „Sehr scharf beobachtet, gnädige Frau! Mein Kompliment ...“
Als es weiter geht, nimmt Matthias Egersdörfer Platz auf dem Sofa, neben sich bittend einen der legendärsten Söhne Hildesheims, den Filmemacher Wenzel Storch. Egersdörfer zaubert nun quasi zum Auftakt der großen Nürnberger Wenzel-Storch-Festspielwoche ein wunderbares Interview, indem er nämlich alles richtig macht. Er lässt zunächst Wenzels Werk sprechen, danach Wenzel selbst und zwar ohne auch nur im Geringsten mit der Zeit zu geizen. Im Gegenteil: der dicke Mann aus Lauf rechts der Pegnitz entblößt sich zum wiederholten Male als armseliger Protestant, dessen Neid auf den Katholizismus aufglimmt angesichts des prall-dreisten Kunterbunts und obszönen Geweses der päpstlichen Heerscharen. Und im Prinzip dürfte niemand im Saale anwesend gewesen sein, welcher nicht einem Gastgeber zugestimmt hätte, der frohlockt, er könne „von dem Zeug“ gar nie nicht genug kriegen. Wenzel Storch dagegen entfaltet seine ganze pfauengleiche Pracht – Szenen aus seinen überbordenden Ausstattungsfilmen (bis zum heutigen Tage deren Stücker drei), wilde Anekdoten aus den Drehtagen, über unbezahlte Bären und abgesägte Beine, über Vermieter, die zwischen den Rhabarber kacken, über die komplette Kirche, die Herr Storch in seiner Wohnung aufbaute, um quälend blutige Szenen darin drehen zu können, und die Aufarbeitung der röm.-kath. Erweckungsliteratur der frühen wie späteren Nachkriegsjahre. Vor allem das letztere Thema behandelt Storch dann während eines Lichtbildvortrages, der im Wesentlichen die Titelseiten von Druckschriften zur Darstellung bringt, deren Aufarbeitung Storch sich zum Anliegen gemacht hat. Über Wenzel Storchs Werk ist anderweitig bereits genug gesagt und geschrieben worden – sein Auftritt als Lichtbildvortragender jedenfalls ist ungewöhnlich, mirakulös komisch und exotisch-abwegig. Eine seltene Perle, die jedem sofort begeistert. Werbeanzeigen aus dem 1970ern, Abschnitte aus Petzi-Heften (die das „Bums-Tier“ behandeln), Missionars-Romane, „Leuchtfeuer Ministrant“-Propaganda-Heftchen, erotische Kontaktanzeigen aus den 1980ern, das berühmt-berüchtigte „Fick & Fotzi“-Comic – ein irres Durcheinander, eine bunte dadaistisch-sexuelle Melange, die zusammengehalten wird vom Obszönen, wenn es absurd wird - oder umgekehrt. Storch beschreibt, er fällt keine Urteile. Er zeigt, was er zeigen möchte, und überlässt die Schlussfolgerung seinen Zuhörern. Er ist bildender Künstler, ein Berufener und kein berufsmäßiger Philosoph. Seine Botschaft ist dennoch glasklar in der Zusammenstellung enthalten und vermutlich gerade deswegen so unterhaltsam. Ob er an einem nächsten großen Film arbeite? Nein, erwiderte Storch, es sei ihm zu viel Arbeit, die Altstadt von Prag nachzubauen, und Filmförderung erhalte er zudem wenn überhaupt, dann immer nur unzureichend wenig. Dies zu bedauern ist meiner Meinung nach aller Bürger vornehmste Pflicht!
Nu, und wer durfte auf keinen Fall und unter keinen Umständen und definitiv nicht fehlen? Freilich der Praktikant, Philipp gerufen zum ersten, Balthasar zum zweiten und generell Moll, die ganze Sippe. Immer noch erscheint ihm die Maria, immer noch erleidet er Blutung und Vision. Einen fabulösen Haiku spendiert er uns zur alternativen Medizin, und alternativlos ist seine Wortakrobatik. Moll erweist sich wieder einmal sprachlich so innovativ wie die Kambrische Explosion, als er fortfahrend ein Fenster öffnet, auf die einzelne Polle als solche und das Geräusch beim „Aufklatschen eines monumentalen Lungenherings auf dem Trottoir“. Ganz wunderbar ist das und dürfte auch der verwirrten Dame aus der Pause verständlich gemacht haben, worum es bei dem ganzen Trara geht. Alleine eine Winzigkeit ist da, die andererseits ich nicht verstehe, und je länger ich darüber nachdenke, desto weniger: wieso muss einer, dessen Sprache so strotzend vor Einfällen, dessen Bilder so minutiös sind, dessen Duktus aus der Langsamkeit die Kraft des Elefanten zieht – wieso muss so einer, der es echt drauf hat, die Stimme ganz albern verstellen, als spräche da ein Kobold oder ein Schlossgespenst? Denn wer etwas auf den Arm nimmt, kann kaum zugleich sich selbst auf den Arm nehmen. Und was ironisch gemeint ist, wird durch einen den Vortrag ironisierenden Ton nicht noch ironischer sondern annihiliert gegenseitig die Wirkung. Mein Wunsch: einfach reden, wie es rauskommt, ohne Verfremdung noch Rollenspiel.
Ach ja – ehe ich es vergesse: ganz fundamental grottenschlecht und allen Regeln der Kunst Hohn sprechend war der gespielte Witz zum Abschluss, den wir angelegentlich der letzten Veranstaltungen schmerzlich vermisst hatten. So wunderbar schlecht war der Dialog diesmal, dass es schon wieder arg schön war und Frau Schulz, die übrigens beim im kommenden Herbst durchstarten werdenden neuen Programm M. Egersdörfers Regie führt, zu höchster Ehre gereichte. Chapeau! Der Termin für die fucking nächste Comedy Lounge wird sein und ist der 18. Juni. Diesmal mit grandiosem Preisnachlass, dank der totalen Niedrigzinspolitik der fucking Europäischen Zentralbank. Checkt alle ein in die Deflation - Hell jäh!
Zeit ist's geworden gewesen, meine Herrschaften, und zwar höchste Herrschaftszeit. Trotz des Frühlings, der sich anscheinend endlich bequemt, zu beginnen, und trotz Fußball-Champions League mit Dortmund und dem geheimnisvollen Malaga-Agenten.
Hurtig und frohlockend ging's auf zur Egersdörfer'schen Comedy Lounge in dem KOMM drinnen, und die Getreuen des Meisters strömten herbei von nah und fern, um zu hören und zu sehen. Überfüllt war der Saal nicht, aber diejenigen, die vom Meister höchstselbst zum Auftakt inspiziert und kreuzverhört wurden, erwiesen sich als kampferprobt und hart gesotten.
Die Frau mit den Übergangsstiefeln war da, auf sie ist Verlass. Oder gehört sie mittlerweile schon zum festen Ensemble? Bekommt sie am Ende ein Honorar? Nicht dass hier noch Gerüchte aufkommen, von wegen Übergangsstiefel-Fetischismus oder so … eine andere Dame aus dem Publikum fragte gerade heraus, ob sich Herr Egersdörfer denn nicht an sie erinnere, da sie doch jedes Mal anwesend sei. Der Meister tat so, als wäre er überrascht und verneinte. Sehr verdächtig!
Und der Mann mit der dunkel-weißen Föhnfrisur fand, dass die Halle beim Meister Robrock mehr „Flair“ gehabt hätte – was auch immer das sei. Vielleicht meinte er damit, dass es dort durchs Dach tropft, was aber doch sicherlich zu Komplikationen mit seiner Föhnfrisur geführt hätte, die derartig elektrostatisch aufgeladen war, dass wiederum Egersdörfer auf die haptische Erkundung verzichtete, um nicht schon gleich am Anfang der Show zu Boden zu gehen. Die Redakteurin eines Metropol-Bums-Heftchens kam demonstrativ zu spät – wir werden nachlesen, was sie noch mitgekriegt hat -, während der Filmvorführer des KOMM-Kinos, Klaus Hammerlindl, rechtzeitig erschien – in der Comedy Lounge. Dass nebenan trotzdem ein Film lief, kann ich nur hoffen …
Oben auf dem Deck des Vergnügungsdampfers, da waren neben der Stammbesatzung drei Künstler zu Gast in Nürnberg: Arnulf Rating, Friedemann Weise und Peter Parkster. Drei im Weckla, sozusagen, wenn sie nicht aus Berlin, aus Köln bzw. aus einem Landstrich, der sich „Südpfalz“ schimpft, kommen oder stammen oder irgendwie täten.
Egersdörfers Ansage ließ zunächst keine Zweifel offen: junge Kollegen sind scheiße. Treten nur noch für facebook auf. Ausnahme: A. Rating. Ein alter Kenner des KOMM sei der, so E., und seit den 1970ern prangere er an die schlimme-schlimme Realität im Lande. Der Backstage-Bereich des KOMM habe ihn, A.R., positiv überrascht, da dieser nicht mehr mit den Ratten geteilt werden müsse. Frisurmäßig sei Rating ihm, dem Meister, um Jahrzehnte voraus, so der flaumüberzogene Egersd. Schnell habe er reden müssen, der Rating, ehe die Polizei eintraf, da er oft in besetzten Häusern aufgetreten sei, in der alten BRD seligen Angedenkens, damals auch noch als Mitglied der sogen. „Drei Tornados“.
Viel Lob – wenig Ehr, so möchte ich jedoch zusammen fassen, was der Egersdörfer'schen Einführungsrede folgte.
Denn da war kein interessantes Thema dabei, in Ratings Redeschwall, keine neue Idee. Im Gegenteil: Rating erschöpfte sich darin, aus seinem Köfferchen packenweise BILD-Zeitungen hervorzuziehen, und dieselben hochhaltend deren Schlagzeilen zu bespötteln. Eine Erkenntnis jedoch sollte sich im 21sten Jahrhundert endgültig herumgesprochen haben: Weil dumm, ist BILD im Grunde immer lustig – wenn man sie nur in den richtigen Kontext stellt. Realsatire nennt man das nämlich, und die macht sich selber.
Ein Papst tritt zurück? – Kommentar Rating: „Kirche oben ohne.“ Das Arbeitsamt vermittelt Huren – Kommentar Rating: „Oma Hilde geht mit dem Rollator anschaffen.“ In jeder bundesdeutschen Eckkneipe kann man das haben, allabendlich, millionenfach und zu allem Überfluss in der Regel witziger.
War das Polit-Kabarett? Nein sage ich: das war hilfloses Konsensgeschwafel, kein Körnchen mehr als flaches Zwangsgewitzel. Papst, Sarrazin, ZDF-Schauer, Wulffs. Eine abgestrobenere Themenödnis ist kaum denkbar. Dazu rhetorisch ein alles andere als akzeptables Gestammel, zirka 17.431 mal angereichert mit einem unbeholfenen „nicht wahr?“, das keinem einzigen erkalteten Halbwitz neues Leben einzuhauchen vermochte.
Zielrichtung: unbekannt. Denn bis zum Schluss blieb unklar, für was oder wen Rating eigentlich ist (außer für sich selbst natürlich). Die BILD braucht er, da er ihren Zynismus wiederkäuen muss, um sich selbst zu ernähren. Gäbe es kein Fernsehen, dann wären seine Auftritte nach zwei bis drei Minuten mangels Inhalt beendet. Ob er nun gut findet, dass deutsche Frauen mehr Kinder bekommen oder umgekehrt besser nicht, weil es ja sowieso notorische „Schwaben“ am „Prenzlauer Berg“ (gähn!!) würden; ob er Weihnachten vor seinen christlichen Inhalten retten möchte oder umgekehrt; ob er den alten, den neuen oder gar keinen Papst bevorzugt, Euro oder D-Mark, Zypern oder Zyste, Arbeit oder Rente – man erfährt es nicht. Und will es nicht einmal erfahren. Schnee von gestern serviert Rating einem Publikum, das demonstrativ reserviert bleibt.
Woraus ich schließe, dass an diesem Abend der harte Kern des Komik-Connaisseurswesens anwesend ist, eine verschworene Gemeinschaft intellektuell-witztechnisch tatsächlich auf extrem hohen Niveau operierender, gebildeter, hartgesottener und erprobter Zuschauer, die sich nicht von ein paar lieblos hingerotzten Politblödeleien ins Boxhorn der Betroffenheit jagen lassen.
Eigenlob stinkt.
Egersdörfer wäre nicht Egersdörfer, wenn er nicht im Anschluss umgehend den Hammer ausgepackt hätte. Als guter Gastgeber weckte er das Volk wieder auf, jagte es zur höchsten Ekstase, indem er eine kaum fassbare Schimpfkanonade auf niemanden anderen als Immanuel Kant losließ und dessen Hauptwerk, die „Kritik der reinen Vernunft“. Ein Titel, den der Gastgeber etwas unbeholfen vom Blatt buchstabieren muss, aber freilich, ein elendes Männlein sei dieser Kant gewesen, so Matthias E., ein widerlicher Pünktlichkeitsfetischist, ein windiger Wichser.
Er selbst, führt Egersdörfer weiter aus, scheiße auf die blutleere Kritik des Königsberger Wichtes, vielmehr empfehle er dem Kant a posteriori, sich ein Teeblatt unter die Vorhaut zu klemmen und ansonsten „jungen Männern“ wie dem Meister selbst Platz zu machen, die in vollem Saft und voller Kraft stünden, mit drei behaarten Eiern in der Hose und literweise Samenflüssigkeit, die sie Tag und Nacht verspritzten.
Mein knappes Fazit: der Hammer hängt immer noch – Egersdörfer zeigte uns klar, wie und wo.
Ein kleines bisschen tragisch scheiterte dann im Folgenden Peter Parkster, ein sympathischer Poetry Slammer und Poetry Slam-Champion, der leider offenbar mit seinen beiden Themen auf's falsche Publikum traf. Zunächst ging es um das älteste Poetry-Slam-Thema der Welt: der junge Mann auf der verzweifelten Suche nach Sexualverkehr. Parkster spult die ganze Palette der Stereotypen des Internet-Zeitalters ab: soziale Netzwerke, digitale Sexbörsen, facebook (darf anscheinend in keinem Beitrag mehr nicht erwähnt werden), speed dating, lustige Usernamen („LongDongSilver25cm“ oder so ähnlich). Leider vergebene Liebesmüh vor einem Publikum, das zur großen Mehrheit über 35 Jahre alt ist und sich längst paarweise zusammen gerauft hat.
Auch Parksters zweite Nummer ritt einen Gaul, der in der Comedy Lounge (und im Rest der kultivierten Welt) längst zu Tode gepeitscht wurde: abgenudeltes Vegetarier-Bashing. Tofu-Pointen, Schnitzel-Träume, Brokkoli-Amok – das mag vor einem Deutsch-Leistungskurs funktionieren, aber „Fruchtfleisch ist auch keine Lösung“ erschien bereits 2011, und das ist nur die deutschsprachige Spitze des – Verzeihung! - Eisbergsalats. Parkster hat Talent, ganz klar, aber er wird noch einiges Stehvermögen gebrauchen können. Darüber hinaus dürften ein paar originelle Einfälle seiner Karriere auch nicht wirklich schaden.
Nachgerade sentimental wurde der Gastgeber, als er erneut das Wort an sich riss und den nächsten Gast ankündigte. Gymmick. Ein Tausendsassa: „Humorist, Kartoonist, Liedermacher, Sänger, Schauspieler, Moderator“. Und last but not least aus unvordenklicher Zeit noch mit Meister Egersdörfer verbunden, als weiland beide in Strumpfhosen durch die Nürnberger Altstadt hüpften, Ritter und mittelalterliche Handwerker mimend, denn sie waren jung, scharf und brauchten das Geld.
Gymmick zeigte diesmal eine Auswahl seiner Kartoons und beeindruckte wie immer mit der erdenklichsten Gnadenlosigkeit, welcher gehorchend er partout keinen Kalauer auslässt. Kein Scherz ist zu flach, als dass er nicht probierte, ob nicht doch jemand darüber stolpere, und das Publikum dankt es ihm. Die Wortwitze aus dem Tiergarten eignen sich vielleicht weniger für die Bühne, aber insgesamt ist die Darbietung professionell und routiniert, obwohl Gymmick steif und fest behauptet, seine Bildwitzkunst zum ersten Mal überhaupt live auf einer Bühne vorzuführen. Entsteht hier ein neues Format – das illustrierte Silbenrätsel mit Moderator? Wir meinen jedenfalls: weiter so!
Dann ist Pause und am Ende der Pause auch schon wieder Schluss mit Pause, denn dann schlägt der Gong zwei Mal, und eine EC-Karte, welche eine durstige Seele fand und abgab, erlebt den großen Auftritt ihres Daseins. Kaum erklärt Meister Egersdörfer, er habe am nächsten Tag frei und nichts zu tun als sowieso in Fürth zu wohnen, so dass er mit dem Plastikteil ganz fett bei IKEA einkaufen gehen werde, da meldet sich ein Herr und verkündet, diese Karte verloren zu haben. Einer dieser Großkapitalisten offensichtlich, die ihr Vermögen am Deutschen Steuerzahler vorbei in absurd abgelegenen Offshore-Verstecken bunkern wie der Kreissparkasse in Höchstadt an der Aisch. Nun – auch diese Zumutung geht vorüber und die Bahn wird frei für den Praktikanten, der schon den ganzen Abend neben der Bühne faul im Sofa lümmelte und sein langes wallendes Haar herausfordernd dem Gastgeber entgegen wallen ließ.
P.B. Moll – gebürtig links der Pegnitz, Jean-Paul Belmondo der Held seiner Jugend. Dieser Selbstcharakterisierung noch ein Jota hinzuzufügen wäre mehr als überflüssig, supraflüssig gar. Moll klagt bekanntlich schon seit längerem über Marien-Erscheinungen, die er als larmoyanter Protestant scham- wie skrupellos für sich oktroyiert, und kritzelte in der Folge zwanghaft Haikus, als trüge der Japaner als solcher irgendeine Konnotation mit blutenden Wundmalen bzw. Aftern in sich.
Doch, so scheint's, nun läutete der Herrgott zum Urlaub Mariens, auf dass ein Zausel es übernahm, den Moll gehörig und zurecht zu plagen. Das Ergebnis: unzählige Theaterstücke, Dramolette, Drehbücher und Bühnentraktate. Eines krypto-lieblicher als das andere, und selten erlebte der Berichterstatter, dass effizienter mit schweigenden Großdarstellern gearbeitet wurde, als in den Wunderwerken der Biergartentragödie, die Philipp Balthasar gleichwie mühelos über den schwarzen Wassern des Unergründlichen schwebend aus dem Mündlein speichelt. Entweder versteckt sich hier ganz irdisch ein dreiviertel Universum an kranken Ideen, die nie zur Welt kamen, oder die Literatur hat endlich ihr Perpetuum Mobile zweiter Art hervorgebracht, in der runden Form dieses Südstadtbohemien. Bravo!
Längst ist das vorübergehend sedierte Publikum wieder auferweckt, brummen Massen schwelgend in Heiterkeit und Frohsinn, wo noch vor kurzem „Skelette in der letzten Reihe mit dem Unterkiefer klapperten“ (Zitat Egersdörfer). Und schon naht einer der klaren Höhepunkte des Abends: der Auftritt des Friedmann Weise. Ein außergewöhnlicher Kerl, mit einer ganz charmanten Andersartigkeit, die in der Luft um ihn herumflirrt wie der Duft eines billigen Parfüms. Er tänzelt nervös über die Mikrofonkabel, redet endlos über seine Lieder, ehe er auch nur einen einzigen Akkord anschlägt, beinahe wie ein rheinischer Fredl Fesl. Er springt erratisch von einem Thema zum nächsten und zurück, wirft Gedankenellipsen um sich, wirkt wie einer, der rotzstockbetrunken ist und versucht, nüchtern zu erscheinen, zieht aber jedenfalls sein Programm unbedingt und absolut fehlerfrei ab. Das Hauptthema des rotbärtigen Männleins? Richtig geraten: Frauen.
Ich wiederhole mich nur ungern, aber alle Bescheidenheit ablegend möchte ich daran erinnern, dass ich schon seit Jahren betone, wie stolz ich auf mich selbst bin. Wenn es nämlich stimmt, dass Männer 90% ihrer Hirnleistung daran vergeuden, an Sex zu denken, dann bin ich umso beeindruckter davon, was ich mit dem freien Zehntel noch alles zustande kriege (vgl. TITANIC 6/2010).
Ebengleiches gilt für Herrn Weise: Reinhard Mey auf einem sagenhaften Sylt II, der finale Abschluss der Gentrifizierung, Coconuts als Tittencode, dazu Dieter Bohlens Fresse – hier hat einer Geschick bei der Themenwahl, hier passt endlich auch die Form zum Inhalt, hier kann einer, was er tut, anstatt so zu tun, als ob er etwas können täte. Man kann Friedemann Weise, dem „Leitmedium der Satiro-Pop-Szene“, nichts Besseres wünschen, als dass er noch ganz oft verlassen werden möge, früh um 6 Uhr per SMS. Dieser Mann versteht es, aus „120% Wut, Hass, Angst und Zorn“ ein Duftbad aus Reimen zu bereiten.
Meine Hochachtung jedenfalls ist Frdm. Weise sicher! Und apropos: wo sich diesmal die bezaubernde Carmen versteckte, erfuhren wir nicht. Einen gespielten Witz gibt es dann hoffentlich wieder beim nächsten Mal.
Fuck! Und überhaupt! Super war's! Bunt, lustig und unberechenbar – genau das, was wir uns von der Egersdörfer'schen Schwankrevue erhofft hatten und darüber hinaus. Auf den 14. Mai freuen wir uns daher, wenn der Ruf des Meisters erneut erschallt und uns locket ins KOMM nach Nürnberg.
Comedy Lounge - 12. März 2013 (diesmal sogar mit drei Fußnoten).
Wie dem auch immer sei - 500 oder 5.000 Wörter könnte man schreiben, oder auch 50.000, aber reichen würd's sowieso nie, um getreulich zu schildern, was da abging, während der Zeit der Sedisvakanz am 12. März im Zweitausendunddreizehnten Jahre des Herrn, des jüngeren, im Festsaal des guten alten Komms zu Nürnberg.
Eine Dame sprach mich an, im Foyer vor Beginn der Veranstaltung, ob sie hier richtig sei, fragte sie, ob denn hier der Komiker aufträte. Nun ja, sagte ich, Auftritt sei schon, bloß ob es ein Komiker sei ... Nur reichte dieses Ausweichen bei weitem nicht, dass sie sich nun etwa bequemt hätte, ihr eigenes Gehirn zu nutzen. Vielmehr fragte sie stupide weiter: Ob dies die Königsstraße 93 sei? wollte sie wissen. Ich erwiderte gar nicht mehr, sondern deutete auf das Plakat, das ca. 20 Zentimeter neben ihrem Kopf an der Wand hing. „Egersdörfers Comedy Lounge", stand da fett gedruckt, „Königsstraße 93". Start 20 Uhr, beim dritten Schlag des Schulgongs.
Ja, er mobilisierte das Volk, unser großer Meister, von nah und fern kamen sie, um Matthias Egersdörfer und seine Gäste erleben zu dürfen, und zwar den Hohepriester der komischen Lyrik Thomas Gsella, den Atomschwuchtel Kay Ray aus Hamburg, ein Paar Versager aus darselbst, als auch P. „Balthasar den Praktikanten" Moll sowie einen kleinen, maßgeschneiderten Wintereinbruch, der vielleicht den einen oder anderen von einer überstürzten Flucht aus dem Theater abhielt.
Geboten wurde Comedy, und zwar lückenlos, auch wenn zwischenzeitlich Rufe im Saal zu hören waren, die besagten, Lyrik und politische Diskussionen seien gar keine Comedy. Dieses Geplärr muss aber eher als eine Art Hilfeschrei verstanden werden, und dass da jemand im Publikum saß, der die intellektuelle Ausstattung, die nötig war, um noch weiter folgen zu können, zu Hause liegen gelassen hatte.
Eine Schande ist das nicht, für keine der beiden Seiten, und von solchen unvermeidbaren Verlusten abgesehen, haben sich die meisten so höllisch amüsiert, dass nach Recht und Sitte eigentlich ein Aufschlag fällig geworden wäre. Eine Art Erheiterungsabgabe, mit voller Progression.
Denn Zeit spielte keine Rolle. Selbst dann, wenn man ein notorischer Nörgler wäre, könnte man sich über manches beschweren, bloß nicht, dass der Abend zu kurz gewesen sei. Vor unserem inneren Auge sahen wir den grinsenden Taxiunternehmer, eine durchgeweichte Zigarre in den verkrusteten Mundwinkel geklemmt, in des Egersdörfers schmierig-klebrige Hand Geldschein um Geldschein zählend, auf dass dieser Schlawutzki das Amüsement über Gebühr ausdehne, bis dass die U-Bahnen und Busse längst zu ihrer letzten Fahrt angetreten und die gestrandeten Massen in ihrer Not den Mietdroschken-Gangstern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein würden.
Ebenfalls nicht beklagen konnte sich irgendein Seelchen, dass der Abend nicht so begonnen hätte wie immer und stets. Konkret nämlich mit dem Spaziergang des heiligen Grauens, welches das Publikum überkam, als Matthes E. an den Sitzreihen entlang schrappte, zu tätigen die Fleischbeschau, zu treiben heitere Berufskunde, zu vollziehen die Klamottenkontrolle und zu bewerkstelligen den Glatzentest.
Und siehe, alles Volk, das da war zusammengelaufen, um sich schuriegeln zu lassen, bestand nicht nur die Prüfung, vielmehr drehte es den Spieß um und befragte den in ein außergewöhnlich weißes Hemd gehüllten Conferencier, weshalb er stets die Hand in den hinteren Hosenbund gesenkt halte.
So erfuhren wir aus des Meisters Mund, dass es da hinten gar feuchtlich sei, in der Hose, was sich angenehm anfühle, und warm zumal. Quod erat expectandum, wie wir Lateinschüler gerne seufzen.
Auch El Mago Masin drückte sich im Publikum herum, einen Überschuss wimmelnder Erreger in den „ungewaschenen Zauseln", so Dr. Egersdörfers stringente Diagnose. Der gab den Pestkuss lieber umgehend an Sigi Weckele weiter, welcher ebenfalls sich blicken zu lassen gewagt hatte.
So heterogenst die Besetzung, so disparatest die Reaktionen der Zuschauerschaft am Ende der vielstündigen Leistungsschau: von „eine echte Offenbarung!" bis „was ein schmieriger Scheißdreck" war alles dabei.
Anstoß zu wildwuchernden Diskussionen gab namentlich ein gewisser Herr Kay Ray, gelernter Friseur aus Osnabrück oder auch Hamburg oder wo, gewandet in nuttigem Leopardenimitat, die Haarpracht auftoupiert wie der junge Farin Urlaub, betont tuntentuntig gleichwohl lautstark bisexuell - und ein herausragender Kenner sämtlicher Witze, die je auf einem Hamburger Fischmark gerissen wurden!
Im Grunde kann EINE Kritik diesem Kerl nicht gerecht werden, im Grunde bräuchte es eine ganze Erörterung, mit siebzehnfünfundelfzig Pros und Kontras und einer Synthese, für die jeder Dialektiker seine Conclusio abschlecken täte.
Schon im ersten Durchlauf, vor der Pause, legte Kay Ray los, als bliebe ihm nicht mehr genug Zeit, um alle Kalauer zu reißen, die er unbedingt reißen müsste, weil ihm der Teufel im Nacken sitzt. Einer Breitspur-Dampfwalze gleich rumpumpelte er durch den Garten der Tabus, kein einziges auslassend (Ehebruch vs. Moschee), keine Minderheit (Juden vs. Gasrechnung) verschonend, keine Randgruppe (Behindertenparkplatz) außer acht lassend. Ein Systematiker, der sich akribisch durch den Katalog der zu verletzenden Gefühle arbeitet, als sammele er Briefmarken.
Leider, und darauf muss ich bestehen, glänzte Kay Ray vor allem mit Masse (und ich spreche dabei nicht von seinem Penis, der uns nach der Pause vorgeführt wurde) - und nicht mit Klasse.
Hamburger Fischmarkt, wie gesagt, und überwiegend Zoten, die so alt sind, dass schon mein eigener Urgroßvater - übrigens in Hamburg gebürtig und daher qua Abstammung meine Kritik legitimierend - seinen für solche Gelegenheiten vorgesehenen Ausspruch tat, im Keller klappere schon die Bartwickelmaschine ... „Man kann auch ohne Beine Sportschau sehen" sangen die Goldenen Zitronen bereits 1991, vieles könnte auch von der Bloodhound Gang stammen, übersetzte man Rays obszönen Ausfluss ins Englische („a lap dance is so much better when the stripper is cryin'") 1 und ich erinnere mich an einen meiner Lieblingssongs, der da stammt von Denis Leary, den schönen Titel „I'm An Asshole - and damn proud of it" trägt und in dem es heißt: „I park my car on handicap spaces while handicapped people make handicapped faces" 2.
Nun - immerhin ging das Rezept auf: da definitiv für jedes Tabu ein passender Zuschauer im Publikum sitzt, der über den Tabubruch lachen kann, muss man nur alle Tabus brechen und schon gehört einem der ganze Saal. Hier gefurzt, dort gefickt, da ein nackter Papst, hier eine zahnlose Muslimin, geraucht, gesoffen, geschissen, gekotzt - alles mit Tuntentimbre schrill und zappelig vorgetragen, und schon lachen mit Sicherheit jene 99% der Zuschauer, die jeder einzelne seine ganz persönliche Verklemmung im geheimen Keller des Herzens mit sich herumtragen.
Mir persönlich ist dieses Konzept zu simpel. Da steckt keine Mühe dahinter, da kann ich keinen neuen Gedanken, keine originäre Idee entdecken. Vielleicht bin ich inzwischen einfach selbst ein abgebrühter alter Sack, doch mir gingen während des gesamten Auftritts Adjektive durch den Kopf wie: mittelmäßig, platt, ausgelutscht, verstaubt, billig, dumm.
Eines jedoch - und das muss ich zugeben, ob ich will, oder nicht -, eines jedoch hat er drauf, Herr Kay Ray: er ist überzeugt von sich und von dem, was er tut - mehrfach verkündet er es auch explizit: er macht, was er macht, weil es ihm Spaß macht, und zwar so großen Spaß, dass ihn keine Kritik, kein Einreiseverbot, das inzwischen angeblich vier deutsche Städte gegen ihn verhängt haben, kein Rauchverbot, kein Nacktverbot, nicht die Narben und Falten des Alters, nicht Sackratten noch Hämorrhoiden, keine Religion und kein Konzern der Welt daran hindern können. Diese Einstellung ist es, die es ihm erlaubt, ein x-beliebiges Thema wie ein volles Glas ganz langsam, olle Kamelle für olle Kamelle immer weiter vorwärts zu schieben, bis an die Kante des Tisches und darüber hinaus. Kotwürste, Hängetitten, vergewaltigte Urnen, Zäpfchen, Smegma 3, Krebs: er führt das Publikum ganz behutsam an jeden Abgrund.
Sein Timing ist perfekt, ein Spannungsbogen steht bald unzerstörbar im Raum wie ein Nnrdkoreanisches Siegesdenkmal, so dass niemand mehr überrascht oder gar abgestoßen ist, als Kay Ray endlich die verschmodderten Unterbuxen fallen lässt. Fasziniert glotzt ein ganzer Saal auf einen splitternackten Schwulen, der sein ausgeleiertes Skrotum mit seinem labberigen Schwanzwürstchen zu Tierfiguren verknotet.
Ich habe keine Ahnung, was wir da eigentlich sehen. Eine fäkalienschwangere Travestie? Einen perfekten Schwulen-Striptease? Eine der berüchtigten Parodien auf eine Parodie einer Parodie? Oder Billigen Fischtunten-Tuntenfischmarkt? Keine Ahnung.
Sagen wir es mal so: gefallen hat es mir nicht, nicht zuletzt wegen der ebenso schauerlichen wie schwuchtel-stereotypen Gesänge (Milva!), mit denen Kay Ray glaubte, die Zeit seiner Zuhörer vergeuden zu müssen. Aber ich bin froh, das gesehen zu haben. Und für die, denen dieses Urteil zu verquastet ist, in kurz und knapp: sich Kay Ray entgehen zu lassen, wäre ein Fehler. In welcher Hinsicht auch immer.
Anschließend dann kam aus meiner persönlichen Sicht der Glanzpunkt des Abends, vom Meister Egersdörfer, der doch noch die Kanzel erklomm, um ein ganz bezauberndes Kabinettsstückchen hinzubrezeln. In einer beinahe psychedelischen Stimmung entfaltete sich da eine Mär, deren Protagonisten zum einen die Ruhe, zum anderen die Sanftheit waren, ganz zart und liebevoll flankiert von zwei Gerüstbauern, die sich in Löffelchenstellung mit dem Helden auf ein geentertes Sofa kuscheln. Solche Träume wenn der Papst hätte, mein lieber Herr Psychotherapeutenfachverband, dann täte sich die ganze Scheiße auf der Welt quasi wie von selbst auflösen. Wunderschön war das, und gab auch meinem romantisch-verbrämten Herzchen den Zucker, den zu lutschen ich mich verzehrt hatte.
Volle Punktzahl also in allen wichtigen Disziplinen: Irrwitz, Blümeranz und Urwüchsigkeit an den Mann, der schon - zumindest hält sich dieses Gerücht hartnäckig - als kleiner Hosenscheißer den bösen Nachbarn der Oma mit Hitlergrüßen traktierte.
Und als wär das alles noch nicht genug und aufreibend gewesen, ging es weiter mit Film, in ganz groß und in Farbe an der Wand von dem Saal, wo rein zufällig eine Leinwand angenagelt hing. „Die Versager" nennt sich die Truppe, die gleichfalls in Hamburg heimisch ist und an einem Projekt namens „Versager TV" herumschraubt. Der Name war leider streckenweise auch Programm. Zumindest geriet die Selbstvorstellung der beiden angereisten Mitversager zu einem saublöden Gestolpere, das nur Menschen lustig finden können, die grundsätzlich dann lachen, wenn sich jemand Kaffee über die Hose schüttet. Oder eine Kamera fallen lässt. Oder den Faden verliert und einen Satz nicht beendet.
Gar nicht so schlecht war der wenngleich zu lang geratene Kurzfilm über das Apfelmus. Der war sogar sehr lustig, insbesondere die Szene, in der ein Versager bäuchlings auf einem Floß liegt, das er mit Tesafilm aus Styroporplatten zusammen geklebt hat, und über einen winterlichen Kanal zum Apfelfischen paddelt. Hier wurde es phasenweise grotesk und phantasievoll, und prompt stieg die Stimmung. Harri Schemm und Klaus Hammerlindl lassen grüßen, wie man so schön sagt. Gute Ansätze, unzweifelhaft, wenngleich da noch umfangreicher Raum sowohl für Verbesserungen als auch Straffungen ist. Auch Meister Egersdörfer erkannte geschwind das Malheur und würgte den Auftritt behende ab. Etwas, was in der Comedy Lounge gar nicht so oft vorkommt, wie mir scheint.
Intellektuell jedenfalls war nun der Augenblick gekommen, in dem die Sonne aufging. Thomas Gsella hatte Mühe auf sich genommen, hatte seine Heimat, die Metropole Aschaffenburg schweren Herzens verlassen, um ins verlauste Nürnberg zu reisen - oder war es umgekehrt? Egal - zu Gsella selbst gibt es nicht mehr viel Neues zu sagen, er spielt schon lange in der ersten Liga, er ist einer der ganz großen deutschen Sprachschöpfer der Gegenwart, und hat bereits 12 oder 17 Bücher sowie tausende Gedichte in der Apothekenrundschau und der F.A.Z. veröffentlicht. Einen genauen Überblick hat schon lange keiner mehr.
Dass er amtierender Ex-Chefredakteur der großartigen und ewiglich überragenden Titanic ist, und dass er 2011 den gewaltig dotierten Robert-Gernhardt-Preis gewonnen hat, macht das Kraut dann schon nicht mehr fett - sein Vortrag aus der Offenbacher Anthologie ist brillant, sein deutlich zur Schau getragener Ekel vor dem impertinenten Weißenoher Bier im Grunde einer sofortigen Auszeichnung für zivilen Ungehorsam würdig.
Gsellas Kunst der feinen Höchstkomik, einer Intellektualisierung des Trivialen wie Obszönen, die sich selbst demoliert, indem der Reim beinahe in den Straheldrahtzaun der Grenze zum Sperrgebiet gedrückt wird, das ist als hätte der geile Gernhardt sich an obszönem Obst verüberschluckt ... - ächem, ihr wisst, was ich meine: da verschoss einer keine billigen Napalmkracher, sondern germanistische High-Tech-Hohlmantel-Projektile, punktum.
Mein Kompliment geht an dieser Stelle auch ans Publikum, das zu großer Heiterkeit auflief, entgegen allen Comedy- und Frankentums und vor allem trotz der Auflistung Nürnbergs in der Riege der scheußlichsten Städte Deutschlands. Freilich etliche Plätze erst hinter Bielefeld, Kassel, Frankfurt am Main und Dresden.
Nach der Pause schlug erneut die Stunde, diesmal die des Interviews. Um Radio Z ging es, das von einer mehr als ärgerlichen Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) kurz und immer kürzer gehalten wird. Wally Gayermann erklärte ebenso souverän wie charmant, wo der Schuh zwickt bzw. ein protofaschistischer CSU-Staat gnadenlos Sender austrocknen lässt, die unbequeme Wahrheiten verkünden. Die BLM gibt dabei den kriecherisch-willigen Gollum für eine Landesregierung, deren Ziel nichts anderes ist als das brunzdichteste Unterdrückungs- und Überwachungssystem unter weiß-blauem Himmel überhaupt jemals.
Wally Gayermann prangerte die Streichung von nicht mehr als 5.000 Euro durch die BLM an - eine angesichts 38 Mio. Euro Jahresumsatz lächerliche Summe, deren Wegfall Radio Z dennoch an den Rande des Ruins führt. Die eloquente Nachfahrin echter Raubritter, die im Vorstand von Z sitzt, verriet uns nicht nur, was wir tun können und was wir tun sollten: Mitglied des Radio Z-Vereins werden! Bei jeder Gelegenheit dafür eintreten, dass die sogar von der EU geforderte Einrichtung der sogenannten „Community Media" zur Stärkung von Demokratie und Selbstbestimmung auch in Bayern endlich in die Tat umgesetzt wird! Euch zu wehren - und vorbei zu schauen auf: www.medienvielfalt-bayern.de, denn da findet Ihr Antworten auf alle Fragen!
Darüber hinaus half Wally, ein weiteres kleines Geheimnis des Gastgebers zu lüften, der nämlich tatsächlich Mitte der 1990er Jahre ein Praktikum bei Z absolvierte und unter Wallys Aufsicht bereits damals bewies, dass seine dicken Wurstfinger kaum dazu zu gebrauchen sind, Magnetbänder zu kleben geschweige denn zu falten. Wer hätte das gedacht?
Egersdörfers, des eher nicht mehr mit ganz so vielen Haaren gesegneten eher unfreiwilligem Exkurs in die Vergangenheit folgte ein zweiter Rückblick, gepredigt und in seinem ganz eigenem unnachahmlichen Tempo daher gesalbadert von Philipp B. Moll, dem Langhaarigen.
O Philipp, Du alte Pottsau! Bist Du wirklich nur deshalb drei Tage lang mit den evangelischen Jungpionieren an die Zonengrenze geradelt, um Dir Deinen kindlichen Arsch wund zu scheuern? Dachtest Du wirklich, in einer Ortschaft am Hinterausgang des Frankenwaldes, die den wunderschönen Namen Poppengrün trägt, könne es signifikant mehr paarungswillige Weibchen geben, als in den viel erreichbarer gelegenen Busendorf, Tittling oder Arschfick? Hast Du wirklich und wahrhaftig Deine tägliche Marienerscheinung, nur damit Du Dir selbst dreiundzwanzig göttliche Episteln hintereinander zustellen lassen kannst? Und erwartest Du wirklich, dass Dich einst ein japanischer Abgesandter in Deiner Hutzelbude auf- und besucht, um sein japanisches Haupt, welches gekrönt ist von einem japanischen Haarknoten, welcher festgesteckt ist mit zwei gekreuzten japanischen Eßstäbchen, vor Dir zur Erde zu neigen, um Dir zu übergeben einen versilberten Penisknochen vom japanischen Forschungswalfisch, in den der Dank des japanischen Kaisers eingraviert ist, für Dich, den letzten Fahnenträger der roten Sonne, die des morgens sich erhebt über gute Haikus wie als schlechte?
Ja.
Ja, ja, und außerdem: danke für diesen Vortrag.
Der Berichterstatter ist natürlich nicht besonders stolz darauf, sich die absolut lachhafte Zahl von 17 Silben nicht merken gekonnt zu haben, aus welchen der Haiku bestand, mit dem Moll es fertig brachte, sowohl Gelsenkirchen, dessen Barock als auch Bielefeld zu besingen. In schwachsinnigster Verschränkung, aber ganz lieblich, wunderreizend und schön. Ich behaupte, dieser Praktikant spielt schon lange die erste Geige im Lyrikensemble.
Thomas Gsella amüsierte sich dementsprechend laut sichtbar ehe er zum zweiten Mal wie ein Jesus mit Dolce & Gabbana-Brille erschien und ganz überragend meisterhafte Bildgedichte zur Vorlesung brachte. Diesmal aus der traurigen Abteilung, und wieder durchaus anspruchsvoll - eine Pointe, in der das Wort „Birkestien" auftaucht, dürfte an Einmaligkeit ihres gleichen suchen (sic!). Gsella sitzt dabei unterhalb der gigantischen Projektion, an einem Tisch, der zu ihm kontrastiert wie ein Konfirmationsanzug, bloß exakt andersherum, weil zu groß.
Schließlich und endlich rockte Kay Ray einen frenetisch applaudierenden Saal, doch davon hatten wir's vorhin schon zur Genüge.
Ein Abend der eingelösten Versprechen möchte das gewesen sein: die U-Bahnen längst zur Hölle gefahren, eine nackte Quasseltante auf der Bühne - das war uns versprochen und wie vereinbart geliefert worden. Und der wunderbare, unvergleichliche, irrsinnig gutaussehende wie charmante Gastgeber erfüllte auch die letzte der drei großen Verheißungen und schenkte uns den ersten am neuen Austragungsort gespielten Witz, in kongenialer Entblödung mit seiner Bühnenpartnerin, der wunderbaren Carmen, die auch diesmal eine hinterletzte Geschmacklosigkeit mit so stoischer Miene mitspielte, dass man ihr den Nobelpreis in Selbsterniedrigung verleihen möchte. Chapeau, meine Dame! Und lassen Sie sich bitte weiterhin nicht in die Nase ficken.
Und nach über drei Stunden war sie es denn auch gewesen, die zweite Comedy Lounge im Komm zu Nürnberg, ein garantiert einmaliges Ereignis in der fränkischen Weltgeschichte. Spätestens nachdem zum krönenden Abschluss der Chose eine gewisse Schauspielerin eben dasselbe Mikrophon in den Mund steckte, mit dem eine gewisse Nackedei-Tunte wenige Minuten zuvor in einer gewissen Unterhose gestochert hatte, bis ein Kurzschluss in einem gewissen Genitalsektor auftrat bzw. gerade noch gelöscht werden konnte.
Im Januar schon war ja Bird Berlin halbnackt über die Bühne gesprungen, wie ein Riesenelch vom Jupiter.
Dieses Mal war es Kay Ray, der allen, die es sehen wollten oder nicht, unter Heranziehung bzw. Langziehung seines ausgeleierten Pimmels die Schildkröte zeigte.
Wir dürfen gespannt sein, was uns als nächstes erwartet. Sehr gespannt.
Am 9. April ist es soweit.
1 wem ist schon der Auftritt des (schwulen) Bloodhound Gang-Bassers Evil Jared Hasselhoff in TV Total geläufig, wo dieser „sich auszog und seinen Penis präsentierte, den er vorher mit dem Titel der Sendung bemalt hatte" (Zitat: wikipedia).
2 erschienen 1990 auf einer Platte mit dem wunderschönen Namen „No cure for cancer" - diese Liste ließe sich praktisch endlos fortsetzen, wofür ich jedoch nicht bezahlt werde. Aber zeigen, dass wir hier wie beim Passivrauchen ausschließlich die abgestandenen Rückstände zahlreicher und um Welten besserer Originale konsumierten, will ich schon.
3 vgl. Foto auf wikipedia.